Klettersteige sind umstritten. Für viele sind sie eine bequeme Möglichkeit, das wilde Gebirge zu erleben, für Andere Landschaftsverschandelung und Pseudo-Abenteuer. Obwohl ich gelegentlich ganz gerne Klettersteige gehe, gehöre ich selbst mehr und mehr zu diesen Anderen und möchte meine veränderte Einstellung zu Klettersteigen hier erklären.

Ich lehne Klettersteige nicht grundsätzlich ab, stehe aber dem Bau neuer Steige sowie der Anlage hochalpiner Steige im Allgemein zunehmend kritisch gegenüber. Meine Kritik an Klettersteigen entzündet sich an drei Punkten: Landschaftsverbrauch, Vermittlung eines falschen Sicherheitsgefühls, Anpassung an ein naturfernes Konsumverhalten. Darauf möchte ich nun näher eingehen.

Landschaftsverbrauch: Klettersteige sind nicht schön. Im besten Fall blinken Edelstahlanker und Drahtseile aus der Wand, im schlechtesten Fall sind Seilbrücken und „flying foxes“ über Schluchten oder zwischen Türmen weithin sichtbar. In jedem Fall ist der Eingriff in die Landschaft erheblich. Dies wird noch verstärkt durch den Trend zu immer sportlicheren, spektakuläreren Steigen, die keiner natürlichen Linie folgen, sondern sich ihren Weg nach ganz eigenen Gesetzen suchen.

Sicherheitsgefühl: Dass das Drahtseil eine Sicherheit vermittelt, die teilweise trügerisch ist, wurde in den letzten Jahren schon mehrfach thematisiert. Trotzdem wird die Verletzungsgefahr bei Stürzen meiner Einschätzung nach von den meisten Klettersteiggehern unterschätzt. Hinzu kommen die klassischen alpinen Gefahren (Wetter, Steinschlag, Dunkelheit, Erschöpfung), gegen die ein Stahlseil natürlich nicht allzu viel ausrichten kann. Diese Gefahren einzuplanen ist an einem Klettersteig eigentlich kein Problem, überfordert aber immer wieder bergunerfahrene Aspiranten.

Klassisch verläuft der Zugang zum Bergsteigen über das Wandern, seit ca. 30 Jahren auch vermehrt über das Sportklettern. In beiden Fällen sorgen Umgebung und natürliches Angstgefühl bei den Meisten für ein langsames Herantasten an alpines Gelände und schwierige Bedingungen. Vor allem im ersten Fall wird Überforderung dabei meist offensichtlich, solange Umkehren noch gut möglich ist.
Bei Klettersteigen ist das Anders: das oben erwähnte Sicherheitsgefühl kann sportliche Menschen dazu verführen, ohne die eigentlich notwendige Lernkurve durchlaufen zu haben, in schwierige Steige einzusteigen. Die hohe Zahl von Blockierungen in der DAV-Unfallstatistik spricht hier eine deutliche Sprache. Dies bringt mich zum dritten Punkt.

Konsumverhalten: Bergsteigen erfordert viele unterschiedliche Fähigkeiten: Klettertechnik, Orientierungssinn, Geländebeurteilung, Wetterkunde, Trittsicherheit, Tourenplanung, Gefahreneinschätzung. Gerade diese komplexen Anforderungen machen für mich das Bergsteigen zu einem so befriedigenden Unterfangen. Klettersteige reduzieren diese Anforderungen im Wesentlichen auf Kraft und Kondition und mindern so das Gesamterlebnis erheblich. Das heißt nicht, dass Klettersteige keinen Spaß machen, aber sie vermitteln eben weniger Befriedigung als eine Tour ohne solche technischen Hilfsmittel, wie ich selbst dieses Jahr an der Zugspitze und sogar an der Hochalmspitze erleben musste; beide Touren erfüllten mich weit weniger, als vergleichbare Besteigungen ohne Steighilfen.

Die genannten Fähigkeiten haben den Nachteil, dass es Zeit und Übung braucht, um sie erlangen. Gerade das Urteilsvermögen im alpinen Gelände auszubilden braucht viel Erfahrung und auch den ein oder anderen groben Schnitzer. Ich vermute, dass Klettersteiggehen gerade deshalb so beliebt ist, weil alle diese Fähigkeiten kaum gebraucht werden. Stattdessen kann man sich nach einem Kurs von wenigen Tagen (oder sogar noch weniger Vorbereitung) bereits in spektakulären Felslandschaften bewegen. Der Klettersteig fördert damit tendenziell nicht das Erleben durch langsame Steigerung der eigenen Fähigkeiten und Auseinandersetzung mit natürlichen Gegebenheiten und eigenen Grenzen, sondern Erleben durch den Konsum einer einfach zugänglichen, vorgegebenen Route, einer Art Hindernis-Parkours am Berg.

Nun ist jeder frei, sein Freizeitverhalten nach eigenen Vorlieben zu gestalten; und nur, weil ich dieser Art von Erlebnis-Ökonomie nicht viel abgewinnen kann, muss sie nicht schlecht sein. Allerdings halte ich es für bedenklich, künstliche Erlebnis-Einrichtungen in weitgehend naturbelassenen Landschaften zu installieren. Solche Anlagen sollten lieber im Tal gebaut werden, damit die Berge Naturraum bleiben und ihre Faszination behalten können.

Aus den genannten Gründen finde ich hochalpine Steige auch deutlich bedenklicher als Sportklettersteige in Talnähe. Bei den alpinen Steigen bin ich der Meinung, dass der status quo erhalten, aber nicht ausgeweitet werden sollte. Zur Zeit gibt es für jede Art von Bergfreund genug Möglichkeiten, sind auszutoben, sei es auf Klettersteigen, in weglosem Gelände oder in Kletterrouten mit unterschiedlichen Absicherungsgraden. Und so sollte es auch bleiben. Wir sollten nicht immer neuen Naturraum für aktuelle Freizeittrends erschließen.

Dass ich Klettersteigen immer weniger abgewinnen kann, heißt nicht, dass ich gar keine mehr gehen werde. Aber ich werde wohl noch stärker als bisher nach alternativen Anstiegen Ausschau halten.

Mich interessiert, was meine Leser darüber denken. Über Zustimmungen, Widersprüche und Kommentare würde ich mich sehr freuen.

Kategorien: Berggedanken

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

8 Kommentare

Rebecca · 24. September 2014 um 7:49 am

Servus Hannes,

einen sehr gelungenen Artikel hast du da geschrieben. Ich stimme dir in allen Punkten zu und sehe die gleiche Problematik. Auch ich gehe ab und zu gerne einen Klettersteig (kürzlich in der Brenta), für mich muss aber ein „Bergerleben“ mit eingeschlossen sein, d.h. ich bevorzuge alpine Klettersteige, die auch das Klettern am Fels erlauben und eher aufgrund ihrer Umgebung als aufgrund ihrer puren Schwierigkeit ernst zu nehmen sind. Einen weiteren Ausbau solcher Steige sehe ich aber genauso kritisch wie du; was derzeit unverbaut ist, sollte auch so bleiben!

Hoffen wir mal, dass der Trend bald wieder etwas abnimmt bzw. die Menschen einen anderen (respektvolleren) Zugang zum Thema Klettersteiggehen finden.

Liebe Grüße

Rebecca

    Hannes · 25. September 2014 um 11:42 am

    Danke erstmal. Bei mir ist der Landschaftsgenuss an Klettersteigen inzwischen etwas eingeschränkt – mich stört einfach der ganze Stahlkram im Berg. Noch vor einigen Jahren hatte ich dieses Prolem nicht.

    Was das Abnehmen des Klettersteig-Trends betrifft, ist mein Optimismus begrenzt, aber man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben!

Mark · 25. September 2014 um 8:14 am

Eine schöne Zusammenfassung. Wenn ich einen Klettersteig gehe, dann nicht weil er da ist, sondern obwohl er da ist. Manchmal gibt es leider wenig sinnvolle alternative Anstiege auf bestimmte Gipfel oder auf einer Überschreitung mehrerer Gipfel ist ein Klettersteig die kürzeste Möglichkeit zum nächsten zu kommen.

Zu den drei Punkten möchte ich noch einen vierten zur Diskussion stellen: Den Verlust alpiner Touren und Geschichte. Klettersteige überbauen zum Teil historische Routen, die anschließend nicht mehr kletterbar sind. Man stelle sich beispielsweise vor der Kopftörlgrat würde verdrahtet oder die Watzmann Ostwand.

    Hannes · 25. September 2014 um 11:45 am

    Danke Dir! Steige gehen, nicht weil, sondern obwohl sie da sind, trifft es auch für mich recht gut.

    Deinen vierten Punkt halte ich auch für sehr wichtig. Das Überbauen von historischen Routen ist schon ein besonderes Ärgernis. Immerhin scheint dafür bei Erschließern inzwischen ein gewisses Bewusstsein zu herrschen, ganz abgestellt ist es leider trotzdem nicht.

Mark · 30. September 2014 um 8:33 pm

Mich wundert wenig, dass du nach dem Eindruck der Alpspitze diese Gedanken niedergeschrieben hast. Es ist schon viele Jahre her, dass ich die Ferrata gegangen bin, aber ich erinnere mich noch gut an die zum Teil sehr sinnlose und materialintensive Routenführung. Die endlosen Metallbügel und -stifte dürften aber zumindest die Steinschlaggefahr durch Vorausgehende reduzieren.

    Hannes · 1. Oktober 2014 um 1:36 pm

    Ja, die Alpspitz-Ferrata ist schon ein besonderes Prachtexemplar… Allerdings hatte ich diesen Beitrag schon fast vollständig vor unserem Alpspitz-Ausflug geschrieben, auch wenn ich es erst danach geschafft habe, ihn zu veröffentlichen. Auslöser für meine Überlegungen zu Klettersteigen war, dass bei mir Freude und Befriedigung über die eigentlich sehr schönen Touren an Zugspitze und Hochalmspitze durch die vielen Versicherungen etwas getrübt war, während ich 2009 noch mit Begeisterung die Steige am Gardasee gegangen bin.

Dani · 10. Mai 2015 um 5:26 pm

Hi Hannes,
Da kann ich dir da auch nur zustimmen. Ich gehe zwar ab und an Klettersteige, am liebsten als Herausforderung im Winter oder mal kurz als „Afterworktour“, weils halt einfach schnell mal ohne Partner geht, aber halt auch eher aus dem Grund: „weil sie gerade da sind“. Hier und da gibt es schon schöne alte Steige (Die Brenta), oder wirklich schön angelegte neue Steige (der Königsjodler oder der Kaiser Josef Klettersteig), die sich in großartiger Landschaft bewegen und auch aufgrund ihres oft langen Zustiegs zum Glück unkundige und unfitte Neulinge abschrecken.
Ich sehe auch die Problematik, dass Steige mit einer Zustiegszeit von ca. 30min gerade diejenigen sind, die unerfahrene Neulinge anziehen, die sich gröbstens überschätzen. Aber auch Steige, von denen immer wieder behauptet wird, sie wären sehr schwer und nur für Geübte, ziehen immer wieder Neugierige an, die meinen, dieser Herausforderung gewachsen zu sein.
Und die Gefahr, dass jemand meint, nur weil er einen „Klettersteig Kurs“ gemacht hat, nun fit für einen E Steig ist ist leider doch sehr hoch. Das wäre vergleichbar, wie wenn ich nun nach meiner ersten alpinen Mehrseillänge meine, gleich mal eine 6+ klettern zu können.
Ich bin durchaus dafür mehr talnahe „Übungssteige“ zu errichten, die kurz und knackig sind, damit neue Aspiranten eine Chance haben sich und ihre Grenzen zu testen. Diese Übungssteige stören erfahrungsgemäß weniger in der Landschaft und wären vielleicht eine gute Vorbereitung.
Eines sollte man aber beachten: FINGER WEG von Klettergärten und etablierten Kletterrouten! 😉

    Hannes · 17. Mai 2015 um 2:14 pm

    Hallo Dani, Deiner Schlussfolgerung kann ich mich anschließen. Wenn neue Steige, dann wie gesagt, lieber in Talnähe aber natürlich nicht zulasten von bestehenden Kletterrouten.

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