Bergsteigen in den chilenischen Anden vom 08.-11.01.2014
Tag 7 – Gipfeltag! Geschlafen hatte ich vor Nervosität kaum und so schaltete ich schon gegen drei Uhr morgens das Licht an in meinem Eispalast. Draußen pfiff der Wind – zum ersten Mal schon nachts. Na, das würde wohl eher nix werden mit dem Tupungato-Gipfel und mir. Aber jetzt war ich hier, jetzt musste ich es wenigstens versuchen.
Als ich viertel vor vier das Zelt verließ, war es saukalt und auch recht zugig. Aber davon ließ ich mich erst mal nicht beeindrucken und stapfte – noch etwas müde – los. Rechts tat mir bei jeder Bewegung der Rücken weh, hier hatte ich mir beim Husten irgendetwas verrenkt; sonst fühlte ich mich gut. Auch mit der Höhe ging es ganz okay, ich hatte ja auch schon einige Tage hier verbracht. Mit der Bewegung kam auch der Wille zurück – also los richtung Gipfel.
Schnell hatte ich den Nordgrat erreicht und stieg zügig höher. Zunächst konnte ich deutlichen Pfadspuren folgen, dann wurde der Grat zu einem weiten Hang und die Spur weniger deutlich. Immer wieder musste ich stehen bleiben und die Umgegend ausleuchten, um nicht falsch zu gehen. Mit etwas Geduld war zum Glück immer eine schwache Spur oder ein entfernter Steinmann zu finden.
Der Wind war hier oben sehr stark. Ich hatte alles an, was ich dabei hatte, inklusive Daunenjacke; zu warm mir trotzdem nicht. Vielleicht muss ich beim nächsten Mal zu so einer Tour noch wärmere Kleidung mitnehmen.
Der Ausblick vom Grat war gigantisch. Fern im Osten leuchteten die Lichter von Mendoza, im Westen war im Sternenlicht Nebel über dem Pazifik zu erkennen. Während ich also langsam höher stieg, wurde es immer kälter und auf 5700m ließen auch plötzlich die Kräfte nach. Ich spürte, dass ich eine Pause brauchte, aber zum rasten war es zu kalt. Vielleicht hätte ich später starten sollen? Aber nachmittags herrschte auf dem Gipfelplateau Nebelgefahr.
Langsam stieg ich weiter, bis zur letzten Senke vor dem steilen Gipfelhang auf 5800m. Vom Pazifik zogen Wolken genau über den Gipfelbereich. Es waren die ersten Vormittagswolken, seit ich hier war, und nach der allmählichen Bewölkungszunahme an den Nachmittagen zuvor fürchtete ich, dass sie einen Wetterumschwung ankündigten.
Im Osten ging nun die Sonne auf und die wunderberare Stimmung, die das erste Sonnenlicht und die beinahe unendlichen Schatten der Berge in den westlichen Himmel malten, entschädigten mich für Kälte und Wind. Es gehörte zum schönsten, was ich je betrachten durfte.
Trotzdem entschied ich mich, hier umzudrehen. Ich wusste, dass ich von hier aus noch sehr lange (mindestens 6h) bis zum Gipfel brauchen würde. Und angesichts der aufziehenden Wolken würde ich so viel Zeit nicht haben. Die Vorstellung, da oben alleine im Whiteout zu stecken, behagte mir so gar nicht; das wollte ich nicht riskieren.
Es kam, wie es kommen musste: Während ich über den Nordgrat abstieg, ließ der eisige, stürmische Wind langsam nach. Und auch die Wolken lösten sich allmählich auf. Als ich zurück ins Lager kam, hatte sich das Wetter komplett stabilisiert und es war sehr wahrscheinlich im Gipfelbereich der angenehmste Tag der ganzen Woche. Was für einen herrlichen Tag hatte ich da nur verschwendet!? Die Flucht ergiffen vor ein paar harmlosen Wolken! Jetzt war ich doch ziemlich geknickt.
Die Amerikaner hatten zwar einige aufbauende Worte für mich parat, trotzdem war ich enttäuscht und hatte auch das Gefühl, es nicht entschlossen genug versucht zu haben. Erst etwas später wurde mir wieder bewusst, dass die Entscheidung umzudrehen in der Situation absolut in Ordnung war. Hinterher ist man halt immer schlauer. Hier bin ich vielleicht auch an die Grenzen meiner psychischen Stärke gekommen und habe mich allein einfach nicht mehr getraut. Auch eine wichtige Erfahrung.
Als ich später zusammen mit den Amerikanern zu deren Basislager auf 4400m abstieg, dachte ich über das Scheitern nach. Ich habe schon mehrmals die Meinung gehört, es sei kein Scheitern, wenn man am Berg umdreht. Ich sehe das anders. Man sollte ruhig zu den Zielen stehen, die man sich setzt, und beim Bergsteigen sind diese nun einmal sehr oft mit dem Erreichen eines Gipfels verbunden. Das Entscheidende ist meiner Ansicht nach, sich das Nichterreichen der eigenen Ziele als Niederlage einzugestehen und dieses Scheitern trotzdem als notwendigen Bestandteil ambitionierter Unternehmungen zu akzeptieren. Diskutiert man das Scheitern hingegen weg, entwertet man neben den Niederlagen auch die Erfolge. Und ganz ohne Emotionen – Freude, Erleichterung, Enttäuschung – ist doch jede intensive Tätigkeit ziemlich langweilig.
Die nächsten anderthalb Tage lang war dann Entspannung angesagt. Nachdem ich den Gipfelversuch so weit unten abgebrochen und dann einen Tag früher als geplant abgestiegen war, hatte ich nun Zeit. Zeit, mich mit meinen vier Lagergenossen anzufreunden, Zeit mich auf die Rückkehr in die Zivilisation zu freuen und auch Zeit, endlich mal meinen Husten etwas auszukurieren. Der wurde mit abnehmender Höhe zumindest mal ein bisschen besser.
Am Abend des achten Tages kehrte ich in mein Basislager auf 4100m zurück und am Morgen von Tag 9 holte mich dann Renato – dieses Mal allein – ab. Es war ein durchaus freudiges Wiedersehen und er schien erleichtert, dass ich wohlauf war. Während er das Maultier belud, machte ich mich bereits an den Abstieg, der nun recht locker von der Hand ging. Nur bei der Überquerung von Wasserläufen war früh morgens noch Vorsicht angesagt: Da der Wasserspiegel während der kalten Nächte fällt, bleibt auf einigen Steinen eine dünne, kaum sichtbare Eisschicht zurück. Man muss also gut aufpassen, bevor man auf einen Stein am anderen Ufer springt…
Zügig kam ich in die Nähe von Vega de los Flojos und wunderte mich, dass Renato nicht nachkam. Obwohl ich zwei Pausen machte und schließlich sogar wartete, bis ich ihn in der Ferne sehen konnte, holte er mich erst nach dem Malpaso ein. Es stellte sich heraus, dass er mich im oberen Teil gesucht hatte, da ich zu schnell weg war und er Angst hatte, ich könnte mich verlaufen haben. Das fand ich dann doch lustig in diesem ziemlich übersichtlichen Gelände.
Da der Río Azufre auch auf dem Rückweg nur vormittags überquert werden kann, machten wir in der Nähe von Aquas Buenas halt. Es war noch früh und so verbrachte ich den Nachmittag mit Musik hören, Notizen zur Tour schreiben und Gesprächen mit Renato. Ich freute mich auf die Rückkehr nach Santiago und war gleichzeitig dankbar für die Erlebnisse auf dieser Tour – was mittlerweile auch die Enttäuschung über den Abbruch überwog.
Der Abend wurde ein besonders schöner. Außer uns waren nur noch einige Kühe, Adler und Kondore zu sehen. Bis auf das Rauschen des Río Colorado und das Pfeifen einiger Vögel war es still. Und so konnte ich ganz in Ruhe die Stimmung um mich her genießen, bis die Sonne unterging und die Wolken zu leuchten aufhörten.
Ein schöner Moment, mit dem ich diesen Bericht beschließen möchte. Der letzte Tag verlief aus verschiedenen Gründen leider eher ärgerlich und soll hier nicht weiter beschrieben werden.
Zwei Jahre später kehrte ich noch einmal zum Tupungato zurück, dieses Mal allerdings nicht allein, sondern mit zwei guten Freunden.
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