Bergsteigen in den chilenischen Anden vom 04.-08.01.2014
Nach dem zweieinhalbtägigen Anmarsch war ich bei Ankunft im Basislager ganz schön kaputt. Hatte ich am La Paloma wirklich schon zwei Nächte auf 4000m verbracht? Dazu kam sehr lästiger Husten, aber wenigstens ließ der Schnupfen inzwischen etwas nach.
Nach 2h Ausruhen im Zelt machte ich mich nachmittags noch mal auf, um den Weiterweg zu erkunden und fand zu meinem Erstaunen auf 4400m einen weiteren guten Ort für ein Basislager; irgend jemand hatte hier sogar ein Zelt deponiert. Also beschloss ich, am nächsten Tag umzuziehen und einige Ausrüstung gleich bis zum nächsten mir aus der Routenbeschreibung bekannten Lager auf 4700m zu transportieren.
Der Abend wurde dann wie alle folgenden auch: lang. Ich vermisste meine Freundin, ich vermisste einen Gesprächspartner, ich vermisste ein gutes Buch. Mein Reclam-Heftchen und der MP3-Player waren zwar Gold wert, bewahrten mich aber nicht davor, mich in dieser weiten Einöde seltsam gefangen zu fühlen. Was soll ich hier eigentlich, warum mache ich nicht irgendwas, was Spaß macht? Und wie soll ich hier noch sechs solche Abende durchhalten? Das waren die Fragen, die mir durch den Kopf gingen.
Auch der vierte Tag begann mit einem strahlend blauen Himmel. Nach dem üblichen eher kargen Frühstück (Käse und Kekse mit Erdnussbutter – für die nächste Tour dieser Art muss ich mir dringend etwas Anderes einfallen lassen) packte ich meinen Kram zusammen, ließ einige Dinge für den Rückweg zurück und begann den Aufstieg. Nachdem an den Tagen zuvor das Maultier den größten Teil meines Gepäcks getragen hatte, kam mir der Rucksack ganz schön schwer vor. Gut, dass es bis zum nächsten Lager nur 300Hm waren.
Dieses nächste Lager war das Angenehmste am Berg: Guter Windschutz, nicht zu kalt, Schmelzwasser direkt um die Ecke, eine schöne Aussicht. Nachdem ich dort mein Zelt wieder aufgestellt hatte, stieg ich mit verringertem Gepäck weiter. Zunächst waren zwei kleine Bäche zu überqueren, dann ging es einen weiteren steilen Geröllhang hinauf, der auf 4700m in einem kleinen Tälchen endet. Dieses wird nach Norden durch den Nordgrat des Tupungato und nach Osten durch einen weiteren Steilhang begrenzt.
Hier deponierte ich Pickel, Steigeisen, Gamaschen und Essen für die nächsten Tage. Nach einer Pause ging ich dann noch zum Hito, dem Grenzstein, der auf einer Einsattelung des Nordgrates steht, und um den sich allerlei Geschichten ranken, da anscheinend niemand so genau weiß, wie er eigentlich hierhergekommen ist.
Wie bereits an den Tagen zuvor, kam nachmittags lebhafter Talwind auf, der bis etwa 17:00 Uhr immer weiter zunahm. Er war stärker als am Tag zuvor und auch die Quellbewölkung hatte gegenüber den Vortagen deutlich zugenommen. Abends sorgte dann der kleinere der beiden Bäche am Lager für ein beeindruckendes Schauspiel: Im Abstand von etwa einer halben Stunde kam es zu kleineren Murgängen, die jeweils recht harmlos anfingen, bis sie am Zusammenfluss auch den größeren Bach blockierten. Nun kam es jeweils zu beeindruckenden Abgängen, in denen bis zu kühlschrankgroße Felsbrocken aus dem Bachbett gerissen und talwärts befördert wurden. Oha, dachte ich mir, diese Wasserläufe sollte man nicht zu spät nachmittags durchqueren!
Am fünften Tag stand der nächste Ortswechsel an. Dieses Mal trug ich mein Zelt auf 4700m hinauf, sammelte dort Pickel und Steigeisen ein und stieg gleich weiter. In verschiedenen Beschreibungen hatte ich von Lagermöglichkeiten auf 5400m und auf 5800m gelesen. Letzteres schien mir zu hoch für die übernächste Nacht, so dass ich hoffte, auf 5400m fündig zu werden.
Wie bereits an den Tagen zuvor, bemühte ich mich auch heute um ein zwar langsames aber gleichmäßiges Tempo. Die Höhe machte einfach alles anstrengend. Und die Hustenanfälle, die mich bei jedem Anhalten überfielen (abends im Zelt war es noch schlimmer) halfen auch nicht. Mit dem gleichmäßigen Tempo klappte es ganz gut, bis sich die bis dahin deutliche Spur im oberen Teil eines weiteren steilen Geröllhanges verlor. Die letzten ca. 50 Hm weglos anzusteigen, war sehr anstrengend. Doch schließlich hatte ich auch das geschafft und fand auf 5100m ein weiteres Tälchen vor.
Wiederum befand sich hier eine sehr gute Lagermöglichkeit, mit der ich nicht gerechnet hatte. Und dieses Mal war sie sogar bewohnt. Zwischen einigen Felsen sah ich ein gelbes Zelt stehen und traf dort die vier Amerikaner, von denen ich schon gehört hatte. Die sehr erfahrenen Pat und Jan, ihre Tochter Addy und deren Verlobter Ray bildeten wahrscheinlich eine der entspanntesten Expeditionen, die je den Tupungato in Angriff genommen haben. Als ich zu ihrem Lager kam, saßen sie gerade in ihren Camping-Sitzen und spielten Karten. Sie hatten vor, später noch auf 5800m umzuziehen, die Lagerplätze dazwischen seien alle Mist.
Mist klang nicht gut, 5800m war mir für die übernächste Nacht zu hoch, also beschloss ich, den Gipfel von hier aus anzugehen. Heute aber würde ich zu meinem Zelt auf 4700m zurückkehren. Vorher machte ich noch einen Abstecher zum Nordgrat. Als ich die rund 100 Hm ziemlich zügig hochgestiegen war und zum beeindruckenden Gipfelmassiv blickte, hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass ich es schaffen könnte.
Nachmittags kamen die Zweifel allerdings zurück: Es war sehr windig und recht kalt, dazu plagten mich weiterhin heftige Hustenanfälle. War ich wirklich fit genug für diesen Berg? Über den Nordgrat zogen Wolken und es schien, als sollte man spätestens um 14:00 Uhr vom Gipfelplateau verschwinden.
Am Morgen des sechsten Tages zeugte die Eisauskleidung in meinem Zelt von einer kalten Nacht. Auch in der Nacht zuvor war die Kondensfeuchte bereits gefroren, dieses Mal war die Eisschicht noch dicker.
Ich blieb noch ein bisschen liegen aber schließlich trieben mich Hunger und leichte Rückenschmerzen vom Liegen auf der Isomatte doch nach draußen in die Kälte. Nach der üblichen Morgenroutine (Essen, Tee kochen, Zusammenpacken) machte ich mich ins nächste Lager auf. Schon nach anderthalb Stunden kam ich dort an und verbrachte den Rest des Tages damit, den Rucksack für den Gipfeltag umzupacken, zu essen und Zeit totzuschlagen.
Es war heute zum ersten Mal bereits vormittags sehr windig und auch deutlich kälter als an den Tagen zuvor. Kurz nach Mittag kam ein argentinisches Paar den Nordgrat hinab; sie hatten am Tag zuvor den Gipfel erreicht und berichteten von heute sehr starkem Wind am Nordgrat sowie Blankeis am Firnfeld zu Beginn des Gipfelaufbaus. Einige Stunden später kamen dann auch die Amerikaner zurück, die es heute immerhin bis zum Nordgipfel geschafft hatten.
Nun war ich der letzte am Berg, der hinaufwollte. Ich hatte Angst vor dem nächsten Tag, Angst vor dem Wind und der Kälte. Schon verrückt: Ich hatte so viel Zeit und Geld investiert, um zu diesem Berg zu kommen und nun war ich hier und hatte Zweifel, ob ich überhaupt noch da hoch wollte.
In Kürze geht es weiter im dritten Teil.
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