Hochtouren in den Berner Alpen vom 13.-17.08.2014
Irgendwann musste Boris‘ und meine „Strategie“ der letzten beiden Jahre, Hochtouren nur bei zweifelhaftem Wetter und/oder Neuschnee zu unternehmen, an ihre Grenzen stoßen. Und dieses Mal war es so weit. Daher war unser verlängertes Tourenwochenende in der Schweiz wenig erfolg- und eher lehrreich. Immerhin geriet der Abschluss sehr versöhnlich.
Fünf Tage frei und für Hochtouren reserviert und fast überall in den Alpen schlechtes Wetter. So ein Mist! Am ehesten brauchbar schien die Witterung im Wallis zu sein und so beschlossen wir, dorthin zu fahren und eventuell einen Berg zu besuchen, von dem ich schon lange träume: das Bietschhorn. Dass die Chancen für einen Erfolg nur gering sein würden, war uns klar – sie wurden dann noch einmal geschmälert, als wir uns wegen der vielfältigeren Tourenmöglichkeiten für die Baltschiederklause als Stützpunkt entschieden anstatt der Bietschhornhütte. Der Nordgrat würde für uns – wenn überhaupt – nur bei perfekten Bedingungen möglich sein.
Mittwoch Nachmittag starteten wir den Hüttenaufstieg am kostenpflichtigen(!) Parkplatz Choruderri (1264m) oberhalb von Ausserberg. Die Anfahrt war ziemlich nass gewesen, inzwischen niselte es nur noch leicht. Dementsprechend wählten wir den Stollen als Zugang zum Baltschiedertal. Dort angekommen hörte der Regen bald endgültig auf und es wurde zunehmend freundlich, wenn es auch eher kühl blieb.
Der Aufstieg zur Baltschiederklause ist mit über 1500 Hm lang aber auch recht abwechslunsgsreich, so dass uns während der knapp fünf Stunden, die wir benötigten, nie langweilig wurde. Viertel vor sieben erreichten wir dann die Hütte auf 2783m Höhe und wurden sogleich herzlich von Hüttenwartin Jolanda und ihrem Team begrüßt. Außer uns waren zwei Schweizer die einzigen Übernachtungsgäste; sie hatten am Tag zuvor bei sehr guten Verhältnissen das Bietschhorn bestiegen, den aktuellen Tag bei schlechtem Wetter ausgesessen und wollten am nächsten Tag – ebenso wie wir – auf das 3822m hohe Nesthorn.
Der Donnerstag begann früh – bereits um 03:00 Uhr gab es Frühstück. Nach etwas Müsli, und den üblichen zwei Käsestücken und Marmeladebrotenn stolperten wir noch etwas müde gegen viertel vor vier aus der Hütte. Im Dunklen und bei Nebel stiegen wir auf dem Hüttenweg zunächst 100m ab und suchten dann den besten Weg auf und über die Zunge des Inneren Baltschiedergletschers. Die Orientierung war nicht ganz leicht und wir waren ganz froh darüber, die Lampenkegel der ca. 10 min vor uns gestarteten Schweizer als Unterstützung zu haben.
Allmählich hob sich der Nebel und das Tageslicht kroch herauf. Und so war es schon recht hell, als wir den Einstieg zur Rinne der Baltschiederlicka erreichten, wo die Schweizer gerade mit dem Klettern begannen. Klettern – ich hatte mich eigentlich auf eine technisch einfache Tour eingestellt mit höchstens etwas unproblematischer Fixseilhangelei. Stattdessen erwarteten uns hier zwar einige Fixseile und Tritthilfen, aber auch vereiste und weiter oben stellenweise plattige Felsen, die die Kletterei heikel machten. Zum Glück war Boris hier motivierter als ich und stieg bald los. In Wechselführung und teilweise am laufenden Seil erreichten wir schließlich den Übergang (3219m), dessen Abstieg nach Osten auf den Gredetschgletscher zum Glück deutlich leichter war als das soeben Zurückgelegte.
Nach einer kurzen Pause machten wir uns an den Anstieg über den Gredetschgletscher. Wir waren dabei nicht besonders schnell, auch weil uns noch Höhengewöhnung fehlte. Ich ahnte hier schon, dass der Rückweg zur Hütte etwas Quälerei am Gegenanstieg erfordern würde. Oben am Gredetschjoch sahen wir bereits die beiden Schweizer, die mittlerweile 1h Vorsprung hatten. Der Anstieg ins Joch war etwas leichter und kürzer als zur Baltschiederlicka. Ungesichert wollten wir ihn allerdings nicht angehen.
Vom Joch aus (ca. 3510m) konnten wir den Firngrat einsehen, der zum Gipfel des Nesthorns führt. Es war schon noch ein Stück und daher drängte ich zu einem schnellen Aufbruch. Schon nach einem kurzen Stück diskutierten wir dann über das weitere Vorgehen. Mittlerweile war es halb zwölf und es war klar, dass wir nicht mehr ewig weitergehen könnten. Ich war für 13:00 Uhr als Umkehrzeit, Boris war das zu spät, schließlich würden die Abseillängen an den Jöchern sowie die Gegensteigungen einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Und etwas Reserve, bevor es dunkel würde, wäre ja auch nicht schlecht. Davon ließ ich mich überzeugen, allerdings bedeutete eine Umkehrzeit deutlich vor 13:00 Uhr, dass wir genau so gut sofort umkehren konnten, denn dann würden wir es auch nicht mehr bis zum Gipfel schaffen. Und letztendlich taten wir genau das.
Ohne Boris‘ Einwand wäre ich wohl weitergegangen zum Gipfel – und wohl erst ziemlich spät und im Dunklen an der Hütte angekommen. Insofern war es wahrscheinlich klüger abzubrechen.
Vom Gredetschjoch führt eine perfekt eingerichtete Abseilpiste zurück auf den Gletscher, an der Baltschiederlicka mussten wir einiges abklettern und dann beim Abseilen etwas improvisieren. Letztendlich klappte aber auch das gut. Wir ließen uns Zeit beim Rückweg, machten auch einige Pausen; der Gegenanstieg vom Inneren Baltschiedergletscher zur Hütte war dann noch mal hart, bevor wir erst um 18:00 Uhr wieder durch die Tür traten.
Freitag war das Wetter zunächst richtig schlecht: Nebel, Wind, Schneefall. So warteten wir bis viertel vor zehn mit dem Aufbruch. Inzwischen hatte es sich ein wenig gebessert und man würde auch auf dem Gletscher zumindest sehen, wo man hinläuft. Heute wollten wir nur eine kurze Tour auf den Älwe Rigg machen, den leichtesten Gipfel rund um die Baltschiederklause.
Der Weg über den Üssren Baltschiedergletscher verlief problemlos. Am Baltschiederjoch konnten wir einige Blicke auf den Nordgrat des Bietschhorns erhaschen, die uns – alle Felspartien waren frisch eingeschneit – schnell davon abbrachten, diesen am Samstag zu versuchen. Bis dahin sollte unser Selbstbewusstsein ohnehin noch einen weiteren Schlag bekommen, so dass wir es auch bei etwas besseren Bedingungen wahrscheinlich nicht probiert hätten…
Am Südgrat des Älwe Rigg angekommen, der reichlich harmlos wirkte, deponierten wir Seil und Eisausrüstung und begannen den Anstieg über unschwieriges Blockgelände. Schließlich gelangten wir zu einem steilen Aufschwung auf schräg nach rechts abfallende Platten. Das war also die im Clubführer beschriebene „hübsche Kletterei“. Schwerer als II war das nicht, aber dank nasser Flechten rutschig und auch einigermaßen ausgesetzt. Hmm, ohne Seil etwas blöd. Umgehen ging auch nicht – auf der einen Seite warteten die Platten, auf der anderen übelster Bruch. An manchem anderen Tag hätten wir es wahrscheinlich versucht, aber heute war uns das ohne Seil zu heikel. Also Umkehr und zurück über den Gletscher. Zurück an der Hütte traute ich mich kaum zu sagen, dass wir auch an diesem einfachen Gipfel gescheitert waren. Aber was soll’s – et es wie et es.
Auch der Samstag brachte keine Wetterbesserung. Als wir 06:15 Uhr die Hütte verließen, waren die Blockhalden mit einer dünnen Neuschneeschicht bedeckt, was das Gehen zu einem ziemlichen Eiertanz werden ließ. Zwischen den Gipfeln hingen noch hartnäckige Wolken und so liefen wir auf dem Weg zum Südgrat des Breitlauihorns schon bald in die Suppe. Überhaupt hatte ich heute – was mir wirklich nicht oft passiert – Motivationsprobleme. Schon wieder durch Nebel und Kälte schinden, dachte ich bei mir, nur um dann irgendwann wieder umzudrehen. Dazu hatte ich mich anscheinend deklimatisiert, jedenfalls fühlten sich meine Waden an, als hätte jemand Bleiklötze darin versenkt.
Zwei Mal kamen wir an den Punkt, wo wir gar nichts mehr sahen und im Nebel feststeckten. Zwei Mal begannen wir den Abstieg. Und zwei Mal hob sich der Nebel wieder und wir stiegen doch wieder auf. Immerhin fühlten sich meine Waden von Mal zu Mal besser an, trotz der ca. 150 Bonushöhenmeter. Schließlich kamen wir doch noch an den Südgrat, an dem weiter oben bereits eine geführte Dreierseilschaft herumturnte. Der Gratansatz bestand aus nach rechts noch ca. 300m auf den Inneren Baltschiedergletscher abfallenden Platten. Ca. 10m waren hier zu bewältigen, bevor man die Gratkante erreicht haben würde. Das Ganze natürlich mit Steigeisen, da schneebedeckt. Und sichern war leider nicht möglich, da wir keine geeigneten Fixpunkte anbringen konnten. Also irgendwie war das blöd und ganz und gar keine „hübsche Kletterei“, wie sie der Clubführer auch heute in Aussicht gestellt hatte.
Ich muss zugeben, ich fand diese Stelle nicht nur heikel und unangenehm, ich hatte richtig Schiss beim Hinschauen. Die Stelle war auch blöd, aber ich hatte wohl auch nicht gerade mein mental stärkstes Wochenende. Da es auch Boris hier nicht viel anders ging, kehrten wir einmal mehr um. Bei diesen Tourentagen wurden uns unsere Grenzen recht deutlich aufgezeigt.
Abends meinte ich zu Boris, dass ich mich auch mal wieder über richtig gute Bedingungen bei einer Hochtour freuen würde. Sogar ein Spur wäre irgendwann zur Abwechslung mal wieder ganz nett. Und richtig toll wäre es, nach dem ganzen Mistwetter irgendwann mal wieder am Gipfel in der Sonne zu liegen, die Aussicht zu bewundern und ganz entspannt eine Gipfelschoki zu genießen. Ein schöner Traum.
Sonntag. Perfektes Hochtourenwetter. Neben dem Tag an der Zugspitze der schönste, den ich in diesem Jahr erlebt habe. Und wir müssen absteigen. Natürlich hatten wir uns bei diesem herrlichen Wetter noch einen kleinen Abstecher vorgenommen. Trotzdem war es schade, kurz nach fünf den Hüttenweg zu betreten, während sonst die Stirnlampenketten (am vergangenen Abend war die Hütte voll geworden) den großen Gipfeln der Umgebung zustrebten.
Wir wählten allerdings nicht den direkten Hüttenabstieg, sondern den alpinen Steig auf der orografisch linken Seite des Baltschiederbaches. Die Markierungen hier waren spärlich aber gerade ausreichend, um über Blockhalden und herrliche Wiesen zu navigieren. Das Gehen hier machte mir so viel Freude, dass ich den Frust der letzten Tage bald vergessen hatte.
An der Galkichumma wandten wir uns ostwärts und stiegen zum ehemaligen Bergwerk auf 2602m hinauf, das wir gegen 07:30 Uhr erreichten. Hier deponierten wir überflüssigen Gepäck, aßen eine Kleinigkeit und gingen dann den Anstieg zu unserem heutigen Gipfelziel an. Dieser führt zunächst durch den weiten Kessel der Galkichumma, dann durch eine Gras- und Geröllrinne in ein Block- und Schuttfeld. Von hier kletterten wir durch steile, teils brüchige Schrofen (Stellen II) zum Südwestgrat des Strahlhorns. Genau mein Gelände! Über den Grat ging es dann („ohne Schwierigkeiten“ schreibt der Clubführer, ich würde es als hübsche Kletterei bezeichnen) mit bemerkenswerten Tiefblicken ins Gredetschtal zum Gipfel (3200m), wo wir 2h nach Aufbruch vom Bergwerk eintrafen. Hah, wenigstens bei solchen Anstiegen können wir die Clubführer-Zeiten (dort war der Anstieg mit 2,5h angegeben) unterbieten!
Viel wichtiger als unsere Aufstiegszeit war jedoch die herrliche Aussicht: Die gesamten Walliser Alpen lagen vor uns ausgebreitet, auch auf italienischer Seite waren noch einige Berge zu erkennen. Und im Norden standen Nesthorn, Breithorn und das mächtige Bietschhorn scheinbar zum Greifen nah. Wir legten uns also in die Sonne, bewunderten die Aussicht und genossen ganz entspannt unsere Gipfelschoki. Genau so einen Tag hatten wir uns gewünscht. Herlich!
Nach etwa 40min brachen wir wieder auf. Im Abstieg umgingen wir die Schrofenkletterei ostseitig über eine Geröllrampe; dann fanden wir dank der Steinmännchen, die wir im Anstieg errichtet hatten und die wir nun wieder abtrugen, zu unserem Aufstiegsweg zurück und kamen so sicher beim Bergwerk an. Den Rest des Abstiegs absolvierten wir recht zügig, nahmen unten die Variante über Niwärch, um die dortige Suone zu bewundern, und erreichten noch vor 14:00 Uhr Choruderri.
Wenigstens an diesem letzten Tag hatte also noch mal alles gepasst. Nur die Rückfahrt nach München zog sich. Im Wallis, richtung Furka fahrend, fiel uns schon bald der mächtige Galenstock ins Auge, zu dem uns vor zwei Jahren nur 20m gefehlt hatten. Dieser Berg sieht so beeindruckend aus, müssen wir da etwa doch noch mal rauf? Vielleicht mal bei gutem Wetter und ohne Neuschnee? Die losen Enden werden nicht weniger…
1 Kommentar
Helga u. Helmut Schulze · 7. März 2015 um 1:16 pm
„Supper“ Boris!