Hochtour in den chilenischen Anden vom 22.-26.12.2015
Während in den Alpen der Winter auf sich warten ließ und kaum Schnee auf den Bergen lag, bescherte El Niño den chilenischen Anden in diesem Jahr so viel Schnee, dass auch im Dezember noch einiges davon übrig war. So fanden wir auf unserer Akklimatisierungstour zum Cerro Cuerno Blanco, was zu Hause schwer zu bekommen war: Weiße Weihnachten.
Beim diesjährigen Ausflug nach Chile waren Franzi und Mark mit von der Partie. Nach den eindrücklichen Erfahrungen beim letzten Mal, war ich sehr froh, dieses Mal nicht allein unterwegs zu sein. Unser erstes Ziel war der weitgehend unbekannte, 5038m hohe Cerro Cuerno Blanco. Dieser kann an Gestalt trotz eigener Eleganz mit seinem alpinen Namensvetter nicht ganz mithalten, dafür ist er rund 500m höher.
22.12.: Mit seinem Pickup-Truck bringt uns Raúl bis zu einer großen Schwemmebene etwas unterhalb der Termas del Plomo, einem beliebten Ausflugsziel im hinteren Valle del Yeso. Die Schotterstraße bis hierher war lang – mich erstaunt immer wieder, wie abgelegen die Täler und Berge rund um Santiago bereits sind.
Von hier aus auf rund 2900m Höhe steigen Franzi, Mark und ich einem Pfad folgend nach Nordosten auf. Auf etwa 3250m erreichen wir den Kamm, von dem wir nun das oberste Yeso-Tal einsehen können, das hier vom Glaciar Bello fast genau südwärts verläuft und an den Termas dann in südwestliche Richtung abknickt. Am Ende dieses Tals steht – von hier aus noch nicht sichtbar – der Berg, den wir besteigen möchten.
Etwas hinter dem Kamm liegt eine schön gelegene kleine Laguna, an deren Ufer man einen herrlichen Zeltplatz vorfindet. Hier bleiben wir für den Rest des Tages, machen nur noch einen Abstecher ins Tal hinein, um den Weiterweg talaufwärts zu erkunden.
Zwei Gänse, denen dieser kleine Bergsee anscheinend ebenso gefällt wie uns, machen hin und wieder etwas Lärm, ansonsten herrscht hier absolute Ruhe und es ist keine Menschenseele zu sehen. Was für ein schöner Ort, um unsere Tour zu beginnen.
23.12.: Um sieben Uhr stehen wir auf, um einen ersten kleinen Gipfel zu besteigen, den 3689m hohen Cerro Gastón. In den Ostalpen wäre er ein Riese, hier ist er nur eine unbedeutende erste Erhebung in einem langen Kamm. Das Wetter zeigt sich heute ungewöhnlich mit flächiger Bewölkung, aber davon lassen wir uns nicht abhalten. Von der Laguna aus queren wir über Schneefelder und Geröll bis zu einer Firnrinne, der wir aufwärts folgen. Dort, wo diese aufsteilt, wenden wir uns nach rechts und erreichen über eine Rampe einen Kessel, in dem Skispuren von vergangenen Freuden zeugen. Von hier führt eine weitere – flachere – Firnrinne zum Gastón hinauf.
Wir alle spüren bereits die Höhe, dazu hatte mich zwei Tage zuvor eine Erkältung erwischt, so dass ich nicht hundertprozentig fit bin, trotzdem geht der Aufstieg bis hierher recht gut. Nun folgt ein steiler, zum Glück recht fester, Schutthang vor dem grandiosen Finale – einem kleinen Felsaufbau, dessen Gestein, wenn man es so nennen möchte, aus einer gipsartigen, löchrigen Masse besteht. Diese ist unheimlich brüchig, dafür ist es möglich, Stufen zu treten. In jedem Fall ist es eine sehr eigentümliche Kletterei (I) dort hinauf.
Mittlerweile haben sich die Wolken weitgehend verzogen, so dass wir vom Gipfel aus eine schöne Sicht auf die umliegenden Gipfel wie Cerro Bello, Alto del Yeso und Cerro Piramide genießen können. Und natürlich auf den Marmolejo, dessen gewaltiges Massiv den Talausgang im Süden dominiert.
Nachdem wir die seltsame Gipsspitze wieder verlassen haben, setzen wir uns zu einer kurzen Gipfelrast und machen uns dann an den Abstieg. Dieser geht dank perfekten Abfahrtsschnees sehr schnell und gegen viertel vor elf sind wir zurück an den Zelten.
Nach einer Mittagspause brechen wir gegen zwölf wieder auf, um noch ein Stück das Tal hinauf zu wandern. Mit unseren schweren Rucksäcken mit Zelten, Schlafsäcken, Hochtourenausrüstung und Essen für fünf Tage ist dies deutlich mühsamer als der Gipfelausflug zuvor.
Nach etwa zwei Stunden finden wir einen guten Lagerplatz oberhalb eines Bachufers auf ca. 3300m Höhe und beschließen, hier zu bleiben.
24.12.: Heute können wir einmal ausschlafen und brechen erst gegen zehn Uhr auf. Es herrscht strahlender Sonnenschein und wird der bislang heißeste Tag hier oben.
Durch Moränengelände wandern wir weiter in das Tal hinein, in der Hitze und unter unseren schweren Rucksäcken ächzend. Der Aufstieg fällt uns heute wirklich schwer und wir sind froh, als wir nach vier Stunden einen geeigneten Ort für unser letztes Lager gefunden haben: Auf 3900m liegt hier eine sandige Fläche im Windschatten eines Schotterhügels zwischen zwei Bachbetten. Von den Zelten aus können wir nach vorne aus dem Tal hinaus auf den Marmolejo blicken, zu unserer Linken den beeindruckenden Gletscherbruch des Glaciar Yeso bewundern oder uns umwenden zu unserem morgigen Gipfelziel, dem schönen Cerro Cuerno Blanco.
Nachmittags unternehme ich noch einen Erkundungsgang, um den besten Zustieg zum Gletscherplateau unterhalb des Cuerno Blanco zu finden. Als ich auf etwas über 4000m Höhe am Rande der Gletscherfläche stehe, habe ich zum ersten Mal ein gutes Gefühl, dass wir am nächsten Tag den Gipfel erreichen können, und steige optimistisch zurück ins Lager ab.
Für Heiligabend habe ich einen Schoko-Nikolaus mitgebracht, der sogar noch in recht guter Form erhalten geblieben ist. Er bildet den Nachtisch zu unserem Weihnachtsessen, Fertig-Risotto mit extra Thunfisch. Es wirkt surreal, dass heute Weihnachten sein soll.
25.12.: Nach einer schlechten Nacht klingelt um 04:30 Uhr der Wecker. Ich habe schlecht geschlafen, hatte dank verstopfter Nase immer wieder das Gefühl, ich bekomme keine Luft. Immerhin fühle ich mich ansonsten körperlich fit, als wir gegen viertel nach fünf aufbrechen.
Langsam gehen wir los, 200Hm pro Stunde. In den Alpen wäre das Kriechtempo, hier sind wir froh, wenn wir es bis oben durchhalten. Das riesige Gletscherplateau des Glaciar Bello ist beeindruckend. Die Wege hier sind weit – wir gehen zunächst einmal von Osten nach Westen an der Südwand unseres Zieles vorbei – dafür ist der Aufstieg fast nirgendwo wirklich steil.
Zunächst gehe ich voran, da ich von meinem Ausflug am Abend zuvor den Weg kenne. Später gehen wir in wechselnder Reihenfolge und als wir den breiten Gletscherschlauch erreichen, der hinter einem Grat von Westen nach Osten zum Gipfel führt, geht jeder sein eigenes Tempo: Mark voran, der in der Höhe sehr stark ist, dann ich, dann Franzi.
Wir Nähern uns dem felsigen Gipfelaufbau, machen eine Stelle aus, an dem er über Schuttrampen zugänglich ist. Nur die Überwindung eines Felsriegels weiter oben bleibt zunächst unklar.
Dann gehen wir die ersten Schutthänge an, Mark wiederum voran. Der Aufstieg ist mühsam, aber immerhin ist der Schutt etwas fester als angenommen. An einer kleinen Scharte wartet Mark auf Franzi; ich gehe weiter, um mir den Felsriegel anzusehen. Nach rechts oben führt eine Rinne, die man in leichter Kletterei erreichen kann. Sie sieht unglaublich brüchig aus, aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Ich schaue mich noch nach Alternativen um, sehe keine, zögere kurz, dann steige ich ein. Vorsichtig quere ich über leichte Felsen (II) in die Rinne, dabei jeden Griff und Tritt prüfend. Nach wenigen Metern läuft die Rinne steil aus. Der einfachste Ausstieg scheint ein gestufter Pfeiler auf der rechten Seite zu sein. Zunächst will ich dort nicht hin, weil es dort ausgesetzter ist und bei einem Sturz der Freiflug durch die Südwand inklusive wäre. Doch überall sonst ist der Fels zu steil und zu brüchig. Also doch auf den Pfeiler (II), der relativ fest ist – trotzdem bricht mir ein Tritt aus und poltert die Rinne herab. Mark, der inzwischen nachgekommen ist, wartet zum Glück neben der Rinne, bis ich oben raus bin.
Endlich habe ich es geschafft, stehe wieder im Geröllhang. Ich warte nun auf Mark, dem auch nicht ganz wohl ist in diesem Schrotthaufen. Ich frage ihn, ob Franzi noch kommt. Nein, sie wartet unten an der Scharte, antwortet er. Dann klettert auch er die letzten Meter zu mir hoch.
Von hier aus ist der Gipfel näher als erwartet. Kurz nach elf stehen wir beide am höchsten Punkt. Es ist schön hier oben: fast wolkenloser Himmel, angenehme Temperaturen und weniger Wind als weiter unten am Grat.
Die Aussicht ist natürlich fantastisch. Gegenüber stehen Cerros Kobe, Pyramide, Alto del Yeso und auf der anderen Seite Yeguas Muertas. Im Norden sind Piuquenes, El Alto und die wunderschöne Sierra Bella zusehen. Und dazwischen unser großes Ziel für diesen Urlaub, der breite, mächtige Tupungato. Im Süden – wie immer – nur von hier oben aus noch besser sichtbar – Marmolejo und San José.
Eigentlich wäre es ein schöner Ort zum Verweilen, aber Franzi wartet unten und so machen wir uns bald wieder an den Abstieg. Zurück an der Kletterstelle befördert Mark erst einmal eine größere Menge Schrott in die Südwand. Nachdem die Umgebung des Pfeilers derart ausgeputzt ist, macht er sich vorsichtig ans Abklettern. Als er aus der Rinne raus ist, klettere ich ebenso vorsichtig hinterher. Und bin erleichtert, als ich unten bin.
Franzi ist natürlich enttäuscht, als sie erfährt, dass der Gipfel gar nicht mehr weit gewesen wäre. Jetzt noch hoch will sie aber nicht. Stattdessen machen wir uns an den Abstieg, der über die weiten Gletscherhänge unkompliziert vonstatten geht. Nur die Hitze wird bald schwer erträglich. Bei einer Pause hängen wir uns alle eine Jacke über den Kopf, weil es so runterbrennt.
Gegen 14:00 Uhr sind wir zurück an unseren Zelten. Die Stimmung ist so eine Mischung aus Zufriedenheit und Enttäuschung. Bei mir überwiegt eher ersteres, bei den andern beiden eher letzteres – und beiden Seiten würde es anstelle der Anderen wohl genau so gehen.
26.12.: Heute ist Abstieg ins Tal angesagt. Wir stehen um 08:00 Uhr auf, packen unsere Sachen zusammen und schultern vorerst zum letzten Mal die abartig schweren Rucksäcke. Dann wandern wir los, finden uns im oberen Teil des Tales dieses Mal besser zurecht als beim Hinweg und kommen so zügig voran. Immer wieder blicke ich zum Cuerno Blanco zurück: Toll, dass wir da gestern oben waren. Und da auch bei Franzi nicht viel gefehlt hat, bezüglich Fitness auch ein gutes Omen für den Tupungato.
Als wir zur Laguna kommen, stehen dort zwei neue Zelte und es sind auch eine ganze Menge Leute unterwegs. Anscheinend ist sie ein beliebtes Wanderziel von Termas del Plomo aus. Dorthin steigen wir nun ab und warten auf Raúl, der uns pünktlich kurz nach drei abholt. Da er als einziger daran gedacht hat, eine Badehose einzupacken, kann sich Mark die Zeit bis dahin mit einem Bad im warmen Wasser verkürzen. Ich bin ein bisschen neidisch, hatte mir das hier auch irgendwie weniger erschlossen vorgestellt. Aber die Zeit geht auch so rum und schließlich können wir in die Zivilisation zurückkehren. Eine tolle und immerhin größtenteils erfolgreiche Tour liegt hinter uns und entsprechend optimistisch können wir unser großes Ziel in Angriff nehmen. Ob es dieses Mal klappen wird mit dem Tupungato?
Daten zur Tour
- Cerro Gastón (3689m), Normalweg
- Schwierigkeit T4, I
- 500 Höhenmeter ab Laguna de los Patos
- Gipfelaufbau besteht aus Gips
- Cerro Cuerno Blanco (5038m), über Glaciar Bello
- Schwierigkeit PD, II (eine Stelle, extrem brüchig)
- 1150 Höhenmeter ab Basislager
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