Bergtour im Karwendel am 01.06.2020

So eine richtige Karwendeltour wollte ich mal wieder unternehmen. Und fand diese an der Tiefkarspitze. Vielleicht sogar mehr davon, als ich eigentlich wollte.

Die Tiefkarspitze ist eine der eindrucksvollsten Berggestalten der nördlichen Karwendelkette. Schon, wenn man auf der Autobahn nach Garmisch fährt, zeigt sich ihre pyramidenförmige Gestalt mit dem NW-Grat über dem Kesselberg. Und auch aus der Nähe beeindruckt sie als zentraler Gipfel zwischen Wörner und Westlicher Karwendelspitze. Trotzdem wird die Tiefkarspitze nur selten bestiegen, was sicherlich auch daran liegt, dass der Anstieg von allen Seiten mindestens mühsam ist.

Ich hatte diesen Gipfel schon länger im Hinterkopf. Und nachdem ich bei meinem Karwendelausflug vor zwei Wochen gesehen hatte, dass nicht mehr viel Schnee in den Flanken liegt, hielt ich die Zeit für gekommen, diesen Prachtberg einmal anzugehen. Als logischste Variante erschien mir dabei der Anstieg über den NW-Grat und Abstieg entweder zur Dammkarscharte oder über den sogenannten Schnellabstieg direkt ins Dammkar.

Viertel nach acht startete ich am Pfingstmontag zu diesem Unterfangen. Da mein Bergradl gerade repariert wird, musste ich den Zustieg wohl oder übel komplett zu Fuß angehen. Immerhin, während am Parkplatz der Karwendelbahn allerhand los war, wurde es auf dem Ochsenbodensteig fast einsam und ich konnte entspannt dahin wandern. Im Zustieg zur Dammkarhütte reihte ich mich dann zwischen die Kletterern ein. Nach ca. 1:45h erreichte ich die frisch wieder eröffnete Hütte, ging aber gleich weiter, da ich ja noch einiges vor hatte.

Ich setzte meinen Weg fort über die Geröllhänge und den Wanderweg zum 1975m hohen Predigtstuhl. Hier war es nun wirklich Zeit für eine Pause. Aussicht genießen, Käsesemmel verdrücken, Stöcke wegpacken und Helm aufsetzen. Denn während für einige andere Wanderer, die hier Pause machten, der höchste Punkt erreicht war, ging für mich die Tour erst richtig los.

Direkt am „Gipfel“ setzt der NW-Grat der Tiefkarspitze an. Der erste kurze Abschnitt bis zu einem grasigen Sattel ist hübsch, bietet festen Fels und ist sogar eingebohrt. Etwas unsicher, ob die Kletterform passen würde, ging ich das an und stellte schnell fest, dass mir der II. Grad hier keine Probleme bereitete. So wurde es ein genussvoller Auftakt.

Ab dem Sattel geht es in der Nordflanke alpiner weiter. Über Schrofen- und Grasbänder ging es aufwärts. Hin und wieder fand sich ein Steinmann, doch durchaus nicht immer, wenn es verschiedene Optionen gab. Es war also Wegfindungsgespür gefragt.

So erreichte ich dann die Schlüsselstelle, einen dunklen Kamin, der unten kurz überhängt (III+). Trotz Fixseil-Entschärfung fand ich die Stelle echt unangenehm. Abdrängend, zum Ausspreizen links zu glatt und zum Stemmen zu eng. So brauchte ich eine ganze Weile, bis ich Technik und Entschlossenheit beisammen hatte, um mich dort hoch zu schinden. Andere Aspiranten seien übrigens darauf hingewiesen, dass sowohl dass Fixseil als auch eine Griffschlinge an Normalhaken angebracht sind. Muss also jeder selber wissen, ob er sich darauf verlassen möchte.

Nach der Schlüsselstelle ging es noch ein Stück weiter den rinnenartigen Kamin hoch. An dessen Ende stellte sich die Frage rechts weiter oder links? Ich entschied mich für rechts, da es dort mehr Begehungsspuren gab. An einem Abseilstand (aus Normalhaken) vorbei kam ich zu einem Absatz im Grat und von hier aus sehr schön über den nächsten Aufschwung zur Gratkante. Anregendes Gelände! Zehn Meter weiter allerdings war der Spaß auch schon wieder vorbei vorbei. Vor mir eine Scharte, nicht breit, aber tief, dahinter ein sehr glatter Turm. Hier war nichts zu holen, also zurück zum Kamin und dann nach links…

Schließlich erreichte ich den Grat doch noch an der richtigen Stelle. Jetzt konnte es also endlich richtig losgehen! Und tatsächlich folgte nun interessante Kraxelei (bis II). Der Grat besteht aus einer Folge von steilen Aufschwüngen, hat wenig Gratcharakter und ist recht unübersichtlich. Im Zweifelsfall hielt ich mich meist an die Dammkarseite, ein paar Mal wich ich aber auch auf die Nordseite aus. Die Felsqualität ist sehr wechselhaft. An der Gratkante oft sehr gut (aber auch nicht immer – also Vorsicht!) und durchaus für einige genussvolle Kletterzüge geeignet. In Umgehungen waren aber auch ein paar Stellen dabei, bei denen ich vor lauter Bruch gar nicht mehr wusste, wohin mit dem Körpergewicht.

So wahnsinnig schnell kam ich nicht voran, dafür war das Gelände zu unübersichtlich. Die Kletterei aber machte Spaß und bereitete mir keine Schwierigkeiten. Schön war es, mal wieder in etwas wilderem Gelände unterwegs zu sein!

Halb drei erreichte ich schließlich den Gipfel der Tiefkarspitze auf 2430m. Erschöpft, aber auch froh und ein wenig stolz setzte ich mich unters Kreuz und blätterte durchs Gipfelbuch. Eher eines der Exklusiveren, in das ich mich bislang eintragen durfte. Dieses Jahr war ich immerhin der fünfte Besucher hier oben.

Nach einer halben Stunde Pause machte ich mich wieder auf den Weg. Dabei war mir sehr deutlich bewusst, dass mich auch der Abstieg noch fordern würde. Über steile Schrofen stieg ich zur Scharte vor dem südlich gelegenen Vorgipfel ab. Dann stellte sich mal wieder die Frage rechts oder links? Rechts ging es die berüchtigte Rote Rinne hinab, links lockte ein schmales Band. Und dahinter stand ganz deutlich ein Steinmann. Wäre das also eine Variante, die Bruchrinne zu meiden? Ich querte hinüber zum Steinmann. An der schmalsten Stelle boten die Felsen über dem Band einen leichten Überhang ca. auf Brusthöhe. Ausgesetzt, abdrängend und auch etwas brüchig: So machen Querungen Spaß…

Schließlich hatte ich mich auf die andere Seite gemogelt und folgte einem weiteren Steinmann durch sehr steiles und bröseliges Schrofengelände zur Gratkante. Nur um mich ein zweites Mal heute in einer Sackgasse zu finden. Der Grat wurde durch eine Scharte unterbrochen, in die ich nicht abklettern wollte (zu brüchig, zu steil). Und auch zum Geröllfeld auf der anderen Seite des Grates fand ich trotz einigem Suchen keinen vernünftigen Abstieg. Also den ganzen Mist wieder zurück. Immerhin für die Querung fand ich eine alternative Variante – einen Tick schwerer zwar, aber deutlich weniger unangenehm.

Danach stieg ich ein Stück die Rinne ab, dann wieder hinauf zum Geröllfeld, überquerte eine Schneewechte, schindete mich eine Rinne hinauf und stand endlich am Vorgipfel. Etwas frustriert blickte ich zurück zum Hauptgipfel. Für die paar Meter hatte ich jetzt über eine Stunde gebraucht?

Wenigstens nach dem Vorgipfel wurde das Gelände rasch leichter. Und während ich richtung Larchetfleckspitzen wanderte konnte ich ein wenig den beeindruckenden Tiefblick ins Dammkar bewundern. Fast wie im Flugzeug war es hier oben.

Ein großer Steinmann markierte dann den Einstieg in den sogenannten Schnellabstieg. Wobei man sich von „schnell“ nicht zu viel erwarten sollte. Sicherlich lag mein in der Folge geringes Tempo auch an mentaler Erschöpfung nach stundenlanger Konzentration. Aber auch frisch wird man hier kaum richtig schnell sein. Dafür ist das Gelände zu anspruchsvoll und der Weg zu undeutlich.

Auch hier liegen die Markierungen recht weit auseinander, so dass ich zwischendurch schon mal vom Weg abkam. Zum Glück aber nie weit und immer so, dass ich mich schnell wieder zurechtfand. Und nach viel Geröll und Schrofen, etwas Schnee und einigen Grasbändern stand ich dann endlich erleichtert im Geröllhang oberhalb der Bergwachthütte. Geschafft!

Nun war es nur noch ein Katzensprung zur Dammkarhütte, wo ich zwanzig vor sieben mit Weißbier und Johannisbeerschorle die Lebensgeister wieder erwecken konnte. Anschließend wanderte ich dann gelöst zurück nach Mittenwald. Den Ochsenbodensteig ließ ich links liegen. Mit 1850 Höhenmetern in den Beinen hatte ich keine Lust mehr auf Gegensteigungen. So endete diese spannende Tour auf die Tiefkarspitze ganz entspannt auf einem Forstweg. Eine Tour, die mich voll gefordert hatte – eine echte Karwendeltour eben.

Daten zur Tour

  • Tiefkarspitze (2430m) Nordwestgrat
  • Schwierigkeit T6, III
  • 1850 Höhenmeter
  • Erstbegangen 1896 durch Otto Ampferer & Dr. Wilhelm Hammer


Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

2 Kommentare

Rebecca · 15. Juni 2020 um 4:59 pm

…. puh, sowas machst du ganz allein? Ich hab‘ ja schon Respekt davor, die Arnspitzen-Überschreitung alleine anzugehen – und tendiere im Moment auch tatsächlich dazu, das lieber nicht zu machen. An anspruchsvolleres Terrain muss ich mich eh auch erstmal wieder herantasten. Aber cool, dass es bei dir so gut geklappt hat!

    Hannes · 16. Juni 2020 um 6:13 am

    Hallo Rebecca, ja, ab und zu mache ich so was allein. Ich habe eine Weile gebraucht, um bei solchen Touren solo meine Nerven im Griff zu haben und sie genießen zu können. Mittlerweile geht es (meistens 😉 ).

    Falls Du die Arnspitzen doch noch angehst: Die Tour ist sehr schön und die Mittlere (schwerste) kann man nordseitig umgehen, wenn man sich ihr nicht gewachsen fühlt.

    Schöne Grüße
    Hannes

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