Skihochtour in den Adamello-Presanella-Alpen am 09./10.05.2024
Als wir aus dem Auto ausstiegen, wanderte unser Blick sofort nach oben. Dort, jenseits von Wald und Gletscher und mehr als 2000 m über uns, erhob sich stolz der Gipfel der Presanella mit seiner abweisenden Nordwandflucht, die bis zur benachbarten Cima Vermiglio hinüberreicht. Ganz links darin eingelagert die Nordwandrinne. Verdammt, sah die steil aus!
Wollen wir da wirklich hoch? Zweifel an unserem Vorhaben kamen auf. Irgendwer nahm sogar das Wort „Normalweg“ in den Mund, während wir uns zum Aufbruch bereit machten. Nun, das würden wir später entscheiden, jetzt hatten wir erst einmal andere Sorgen. Vor allem sorgte uns das elende Geschleppe: Komplette Skitourenausrüstung, Eisgeräte, Seil, Eisschrauben, Karabiner und Essen für anderthalb Tage steckten in unseren Rucksäcken. Ganz schön schwer.
Gegen 14:30 Uhr wanderten Franzi, Mark und ich mit unseren übergroßen Rucksäcken los. Endlich wieder zusammen unterwegs nach einem Jahr Pause. Unser heutiges Ziel war das Rifugio Stavèl F. Denza auf der Nordseite der prächtigen Presanella. Da der Sommerweg noch schneebedeckt war, mussten wir 600 Höhenmeter zusätzlich bewältigen. Eigentlich kein Problem, mit dem schweren Gepäck aber doch ziemlich lästig.
Bis knapp 1800 m mussten wir zu Fuß über den Wanderweg und einen Lawinenstrich wandern, dann konnten wir endlich auf die Ski umsteigen. Willkommene Entlastung für die Schultern! Doch wurde der Anstieg kaum weniger mühsam. Weicher Schnee, und wiederholte Unterbrechungsstellen hielten die Anstrengung auf hohem Niveau. Und als wir kurz vor der Hütte einige Meter absteigen mussten und ich mich im beim Abrutschen vom schweren Rucksack nach hinten ziehen ließ und umkippte, da hatte ich echt keinen Bock mehr.
Nun ja, kurz darauf erreichten wir den Winterraum, in dem außer uns noch drei andere Gruppen Unterkunft gefunden hatten: Drei Italiener wollten am nächsten Tag durch die Nordwand, zwei Tiroler über den Normalweg und eine gesamtösterreichische Seilschaft (1x Wien, 1x Tirol) wie wir durch die Nordwandrinne. Diese sah von hier aus nochmals steiler aus als von unten und beim Kochen diskutierten wir den Plan für den kommenden Tag. Wir alle waren unsicher, ob wir die Rinne schaffen würden. Ich wollte sie trotzdem probieren, Franzi und Mark zunächst lieber am Normalweg auf Nummer Sicher gehen. Ich hatte mich mit dieser Option bereits abgefunden, als sie 2h später Ihre Meinung änderten. Der Frust über den mühsamen Zustieg war neuer Motivation gewichen und so würden wir es also versuchen.
Um vier klingelte am nächsten Morgen der Wecker und riss mich aus meinem bemerkenswert durchgelegenen Bett. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass Gitterroste so weit verformbar sind, ohne zu reißen. Aber gut, wir waren ja nicht zur Erholung hier.
Nach einem leichten Frühstück und dem obligatorischen Packen ging es um 05:00 Uhr auf die Ski. Noch im Licht der Stirnlampe stiegen wir die ersten Kehren Richtung Presanella auf. Dichte Wolken hingen vor dem Gipfel und seiner Nordwand, doch waren wir zuversichtlich, dass sie bald aufreißen würden.
Nach 200 Höhenmetern erreichten wir den Kamm der Seitenmoräne des Presanella-Gletschers. Diesen mussten wir nun überqueren und das bedeutete einige Meter Abstieg auf die eingesunkene Gletscherzunge. Auf der anderen Seite ging es umso steiler wieder hinauf, unter den Nordwänden von Cima Vermiglio und Presanella entlang. Der Schnee hier war hart, die Hänge steil und wir froh um unsere Harscheisen. Die beiden Österreicher hingegen fühlten sich auch ohne wohl und enteilten uns bald. Wir sollten sie erst am Gipfel wieder treffen.
Nach vielen, sehr vielen Spitzkehren erreichten wir den Fuß der Nordwandrinne. Jetzt waren es noch 450 sehr steile Meter bis zum Gipfel. Schon bis hierher war der Aufstieg anstrengend gewesen und das sollte sich ab jetzt noch einmal steigern. Aber genau dafür waren wir ja hier.
Die Ski am Rucksack und mit Steigeisen und Eisgeräten bewaffnet gingen wir es an. Der Bergschrund war schnell überwunden und dann stiegen wir die allmählich aufsteilende Rinne hinauf. Die Spur war gut, wurde allerdings immer wieder eingeweht, sodass der Erste von uns oft ausbessern musste. Bis in den steilsten Abschnitt ging Mark voran, dann löste Franzi ihn ab. Ich wäre als Dritter dran gewesen, aber dazu kam es nicht mehr.
Die Rinne war durchgehend mit griffigem Schnee bedeckt und nur einige wenige Male zeigten sich in der Tiefe Eis oder Fels. Dementsprechend konnten wir alles gut gehen ohne zu sichern. Die nominelle Steilheit von 55° wurde nach meinem Eindruck nur auf wenigen Metern an der Engstelle erreicht. Dann ging es noch ein Stück bei ca. 50° weiter, bevor sich der Hang Richtung Gipfel wieder zurücklegte.
Anstrengend blieb es bis zum Schluss. Die Länge der Rinne, die Ski am Buckel und die Höhe von deutlich über 3000 m setzten meiner Kraft ganz schön zu. So war ich sehr froh, als wir 10:45 Uhr endlich die Wechte überstiegen und unvermittelt am Gipfel der Presanella (3556 m) standen. Yeah, geschafft! Also zumindest die halbe Tour.
Leider hingen viele Wolken unter uns, trotzdem war die Aussicht eindrucksvoll, besonders auf den großen Adamello-Gletscher und die Ortler-Alpen. Wir blieben allerdings nicht sehr lange hier oben, da wir schon ahnten, dass sich der Abstieg noch ziehen würde.
Gemeinsam mit den beiden Österreichern stiegen wir die ersten Meter über felsdurchsetztes Gelände ab. Dann stiegen die beiden auf ihre Ski und fuhren flugs zum Vedretta di Nardis ab. Das wollte ich ihnen nachmachen, musste allerdings feststellen, dass mir dafür ein paar Gramm skitechnisches Können fehlen.
Der Massenverlust des Nardis-Gletschers hat in den vergangenen Jahren einige sehr steile Hänge (ich schätze, um die 40°) unterhalb des Presanella-Gipfels freigelegt, die komplett mit Lawinenschnee bedeckt waren. Es wäre wohl am besten gewesen, den gesamten Westgrat bis zu Scharte vor der Cima Vermiglio abzusteigen, doch war das von oben nicht offensichtlich.
So eierte ich also etwa 200 Höhenmeter die bockharten Steilhängen hinunter. Franzi und Mark stiegen sie hingegen mit Steigeisen zu Fuß ab, was auch nicht länger dauerte.
Am Gletscher angekommen mussten wir nochmals auffellen, um zur Sella Freshfield aufzusteigen. Der Schlussanstieg in die Scharte sah aus der Ferne recht abweisend aus, entpuppte sich dann aus der Nähe aber als harmlos und dazu durch ein Fixseil entschärft.
Als wir die Scharte erreicht hatten, lagen vor uns perfekt geneigte Skihänge. Endlich ein Ende der Mühen, dachte ich mir. Dieser Gedanke währte bis zum ersten Schwung, als meine Skispitzen durch den Harsch hindurch in weichen Altschnee tauchten und ich einen schönen Purzelbaum über den Hang machte.
Am Vorabend hatte ich noch die Vermutung geäußert, wir könnten es mit Bruchharsch zu tun bekommen. Ich hatte zwar nicht mehr daran gedacht, aber leider recht behalten. Entsprechend mühsam und spaßbefreit wurde die Abfahrt über den oberen Teil des Presanella-Gletschers.
Unterhalb von ca. 3000m war der Schnee dann komplett durchfeuchtet und zwar auch nicht gut, aber doch immerhin deutlich besser zu fahren. Gegen 14:45 Uhr erreichten wir dann mit dem Rifugio unser nächstes Etappenziel. Erschöpft setzten wir uns auf die Stufen, aßen eine Kleinigkeit und füllten unsere leeren Flaschen mit Schmelzwasser vom Hüttendach auf.
Zum Glück hatten wir den anstrengendsten Teil jetzt hinter uns. Die weitere Abfahrt ging recht gut und machte unten im Wald trotz der schweren Rucksäcke sogar Spaß. Anschließend schulterten wir wieder unsere unanständig schweren Rucksäcke und wanderten zurück in den Frühling. Am Parkplatz trafen wir die beiden Österreicher und tauschten uns mit ihnen über diese beeindruckende und lange Tour aus. Später gab es als Belohnung für unsere Auf- und Abstiegsmühen noch eine wunderbar große und auch saugute Pizza. Ein würdiger Abschluss einer für uns großen Unternehmung.
Daten zur Tour
- Presanella (3556 m), Nordwandrinne
- Schwierigkeit AD+, 55°
- Erstbegangen am 22.07.1949 durch R. Grandi & R. Crugnola
- Abfahrt über Normalweg (SKT-Schwierigkeit D-)
0 Kommentare