Bergtour im Lechquellengebirge am 27.07.2024

Heute war wieder einmal spekulatives Bergsteigen angesagt. Denn für die wesentlichen Abschnitte der Tour standen uns nur Informationen aus einem fast fünfzig Jahre alten AV-Führer zur Verfügung. Und so konnten wir nicht sicher sein, was uns bei der Überschreitung von Flexenspitze bis Untere Wildgrubenspitze erwarten würde.

Kurz nach halb acht starteten Christian und ich in Zürs zu unserer Runde. Wir waren gespannt, ob sie klappen würde, wie geplant. Oder ob uns erhöhte Schwierigkeiten am Grat zur Umkehr zwingen würden.

Zunächst folgten wir dem Wirtschaftsweg ins Zürser Täli. An einer Almhütte vorbei wanderten wir an diesem herrlichen Sommermorgen gemütlich bergauf. Dabei waren wir nicht die Einzigen, die die Morgensonne genossen: Auf den Bergwiesen waren zahlreiche Murmeltieren unterwegs. Als wir uns näherten, ertönten mehrere Warnpfiffe und die kleinen pelzigen Freunde gingen in Deckung.

Auf ca. 2100 m zweigten wir nach links vom Weg ab, um zum Grubenjoch aufzusteigen. Vor uns lief inzwischen eine kleine Gruppe Gämsen über den Hang, deren Eleganz und Leichtigkeit wie immer sehr beeindruckend war. Wir hingegen mühten uns über steile Geröllhänge bis zu einem großen Schneefeld. Letzteres machte den weiteren Aufstieg immerhin etwas angenehmer. Zum Schluss kraxelten wir noch rechterhand über einige Schrofen (I-II) und erreichten dann das Grubenjoch. Dieses war zu unserer Überraschung bereits von zwei Wanderern besetzt, die von der anderen Seite heraufgekommen waren.

Im Joch machten wir kurz Pause und aßen einen Happen. Währenddessen durften wir noch mehr alpine Fauna bewundern: Ein großes Rudel Steinböcke lagerte in südseitigen Geröllreißen und über uns kreiste – scheinbar mühelos – ein Adler. Nachdem wir ihm staunend zugeschaut hatten, konnten wir anschließend den interessanten Teil der Tour angehen: die Überschreitung von Flexenspitze, Unterer Grätligratspitze und Unterer Wildgrubenspitze.

Der erste Abschnitt war der Südgrat der Flexenspitze. Dessen unterer Teil wird meist großräumig links umgangen, wir hingegen hielten uns recht direkt an den Grat, was uns einige schöne Kletterstellen (II) bescherte. Der Fels ist hier nicht immer ganz fest, sodass wir vorsichtig zu Werke gingen. Bald war ich voll im „Karwendelmodus“: Griffe und Tritte abklopfen und die größeren Tritte mehrheitlich ignorieren.

Zum Ende des unteren Gratteils mussten wir eine Kante etwas seltsam abketten (III), dann hatten wir den ersten schweren Abschnitt geschafft. Der obere Teil des Grates war anschließend deutlich leichter (I-II) und gegen 10:15 Uhr erreichten wir den unbekreuzten Gipfel der Flexenspitze (2627 m). Wild war die Landschaft hier und sowohl unser Gipfel als auch die umgebenden wirkten abgeschieden und selten besucht. Nur die Lawinensprengeinrichtungen am Vorgipfel störten ein wenig.

Der zweite Teil der Überschreitung war der Weg zur Unteren Grätligratspitze. Zunächst erwartete uns dort Gehgelände. Ein herrlicher Spaziergang hoch über den umgebenden Tälern, der Welt ein wenig entrückt.

Bald wand sich der Grat nach Nord und wartete mit schöner Kletterei in überwiegend festem Fels auf. Wiederum hielten wir uns möglichst nah an den Grat und fanden als Schlüsselstelle einen kurzen Kamin (II+). Kurz darauf hatten wir auch diesen Abschnitt geschafft: Untere Grätligratspitze (2700 m).

Bis hierher wird der Grat gelegentlich begangen, über den Weiterweg zur Unteren Wildgrubenspitze hingegen wussten wir nur, was im AV-Führer steht. Und der Anblick der Grattürme im Mittelteil versprach bereits Spannung.

Schon vom Gipfel weg war der Grat deutlich schmaler als bisher und bescherte uns erste ausgesetzte Kletterstellen (I-II). Einige der nun folgenden Türme umgingen wir linksseitig, andere überkletterten wir direkt. Dann trafen wir auf eine sehr unangenehme Abkletterpassage über brüchigen und mit Schutt bedeckten Fels (II). Hier zeugten zwei kreativ gebaute Abseilhaken (definitiv nicht normgerecht) von früheren Begehungen. Wir hatten kein Seil dabei und hätten uns diesen Eigenbaukreationen auch nur ungern anvertraut.

Nachdem dieser bröselige Abschnitt geschafft war, wurde der Grat zunächst flacher und leichter. Bald hatten wir die Wildgrubenscharte (2633 m) erreicht und waren sehr gespannt auf das, was folgen würde.

Nach den ersten leichten Aufschwüngen querten wir linksseitig zu einer Scharte direkt unter den ersten der Türme, die wir bereits von der Unteren Grätligratspitze aus betrachtet hatten. Wie im AV-Führer beschrieben erkletterten wir den Turm dann auf der rechten Seite in überwiegend festem Fels (II).

Von hier aus ging es direkt an der Gratkante weiter, zunächst recht gutmütig, nur von einer Abkletterstelle (II) unterbrochen. Doch dann wurde es spannend. Der Grat zeigte hier seine Zähne bzw. kleinen Türme, die wir sehr ausgesetzt über- und umkletternd mussten (II-III). Die Felsqualität war recht gut, doch der ein oder andere lose Block steigerte den Adrenalinspiegel zusätzlich. Christian stieg hier beherzt voran und fand immer wieder gute Lösungen an Stellen, an denen es zunächst gar nicht weiterzugehen schien.

Lang ist diese schwierige und ausgesetzte Passage nicht, und schließlich erreichten wir die Stelle, an der der Grat deutlich aufsteilt und wieder breiter wird. Einen Steilaufschwung umgingen wir noch einmal links (II) und hatten, zurück am Gratfirst, das Gipfelkreuz bereits direkt vor uns. Plötzlich hörten wir es unterhalb des Gipfel rumpeln. Eine Gruppe Steingeißen und -kitze stieg dort gerade eine Rinne hinab. Toll, was wir heute alles zu sehen bekamen!

Kurz unter dem Gipfel trafen wir noch auf ein letztes, unerwartetes Hindernis. Einen auf beiden Seiten tief eingescharteten Turm mussten wir umgehen und dann aus der hinteren Scharte steil wieder hochklettern. Rein klettertechnisch war das sogar die Schlüsselstelle (III+), jedoch sehr kurz, in festem Fels und nur mäßig ausgesetzt. Nun hatten wir es aber wirklich geschafft und deutlich leichter kraxelten wir bis zum Gipfel.

Gegen 12:30 Uhr standen wir auf der Unteren Wildgrubenspitze (2753 m). Super, dass das geklappt hatte! Denn bei solchen Touren ist ein Erfolg nicht selbstverständlich. Interessanterweise gab das Gipfelbuch, das leider erst drei Jahre alt war, keinen Hinweis darauf, dass in dieser Zeit jemand über einen anderen Anstieg als den Normalweg heraufgekommen war. Hier sind wohl einige klassische Anstiege mittlerweile aus der Mode gekommen.

Wir machten es uns unter dem Gipfelkreuz gemütlich, genossen Aussicht und Brotzeit. Plötzlich kamen auf der Nordwestseite zwei Adler herauf, flogen in etwa 50 m Entfernung am Gipfel vorbei und schwebten am Südwestgrat entlang davon. Wow! Schon allein für die Tierbeobachtungen hatte sich die Tour mittlerweile gelohnt.

Nach etwa 40 Minuten machten wir uns wieder auf den Weg. Der Normalweg auf die Untere Wildgrubenspitze ist auch nicht ganz ohne (T4) und erforderte noch einmal Aufmerksamkeit. Bald erreichten wir die ersten Versicherungen und hangelten uns am Stahlseil hinab (B). Den untersten Teil stiegen wir schließlich durch Firn ab und waren hier froh um unsere Pickel.

Danach hatten wir den anspruchsvollen Teil nun wirklich hinter uns und konnten ganz entspannt am Zürser See vorbei zurück ins Tal wandern und dabei diese tolle und spannende Tour Revue passieren lassen. Heute war das spekulative Bergsteigen voll aufgegangen.

Daten zur Tour

  • Überschreitung Flexenspitze, Untere Grätligratspitze, Untere Wildgrubenspitze (2753 m)
  • Schwierigkeit T6, III+ (eine Stelle, meist II), B
  • 1200 Höhenmeter
  • Überschreitung Flexenspitze – Untere Grätlisgratspitze erstbegangen am 09.07.1893 durch B. Hämmerle, L. Häfely, W. Rüsch und J. Zumtobel
  • Gratübergang Untere Grätlisgratspitze – Untere Wildgrubenspitze erstbegangen 1909 durch Sepp Zweigelt

Nachtrag

Nur wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Beitrag erreichte mich die schreckliche Nachricht, dass Christian im Abstieg vom Piz Bernina tödlich verunglückt ist. Er hatte mir noch voller Vorfreude von seinen Plänen zum Biancograt berichtet und wir hatten uns zu der Tour ausgetauscht. Nie hätte ich gedacht, dass es seine letzte werden und ich ihn nicht mehr wiedersehen würde. Ich bin erschüttert und sehr traurig. Christian war ein toller Tourenpartner und ein großartiger Mensch. Wohnortbedingt waren wir nicht oft zusammen unterwegs, aber ich habe ihn sehr gemocht. Mein tiefes Beileid gilt seiner Familie und seinen engen Freunden. Ruhe in Frieden, Christian!


Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

2 Kommentare

Mark · 29. August 2024 um 10:32 am

Servus Hannes,
die Tour schaut gut aus. Vielleicht muss ich mich auch einmal dorthin bequemen. Mein einer im Lechquellgebirge bestiegender Gipfel fühlt sich eh so einsam. 😉 Und Grätligratspitze ist einfach ein cooler Name.

    Hannes · 30. August 2024 um 12:24 pm

    Servus Mark, ich denke auch, dass Dir die Tour gefallen könnte. 🙂 Und ja, Grätligratspitze rockt!

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert