Klettern in der Hochschwabgruppe am 09./10.11.2024

Manchmal läuft es anders als geplant und ist trotzdem schön. Tatsächlich wurde unser Ausflug zur Hochschwab-Südwand eines meiner schönsten Bergerlebnisse in diesem Jahr.

Zustieg zum Schiestlhaus

Mit Boris war ich schon lange nicht mehr unterwegs. Er war in den vergangenen drei Jahren aus unterschiedlichen Gründen stark eingespannt und hatte leider kaum noch Zeit, in die Berge zu gehen. Umso mehr freuten wir uns, als wir Samstagvormittag mal wieder zusammen auf dem Weg ins Gebirge waren. Unser Ausflug war ein Geburtstagsgeschenk für ihn, und entsprechend hatte ich mir etwas Besonderes überlegt: Nach einer Übernachtung im Winterraum würden wir den Knablweg klettern – eine klassische Tour durch die Südwand des Hochschwab.

Etwa 15:15 Uhr stiegen wir am Bodenbauer (884 m) aus dem Auto. Und während hier Viele bereits wieder heimfuhren, brachen wir in Richtung Berg auf. Ganz schön frisch war es hier und zügig gingen wir los. Während wir durchs Trawiestal aufstiegen, wurde die Temperatur allmählich angenehmer. Zahlreiche Bergfreunde kamen uns hier entgegen und wir staunten darüber, wie viele von ihnen Kletterer waren. Es schien sich also zu lohnen …

Als wir den hinteren Boden des Trawiestales erreichten, hatte sich die Sonne bereits verabschiedet. Schattig und still lagen die Felswände ringsherum vor uns. Dazwischen standen braune Lärchen und grüne Tannen. Eine herbstliche Berglandschaft wie aus dem Bilderbuch.

Schließlich erreichten wir den Talschluss und stiegen steiler zum Sattel (1785 m) unterhalb des G’hacktkogels auf. Noch immer kamen uns einzelne Bergsteiger entgegen. Einer fragte uns danach, wo wir übernachten wollten. „Im Winterraum vom Schiestlhaus,“ antworteten wir. „Na dann viel Spaß,“ meinte er mit ironischem Unterton. Anscheinend waren wir nicht die Einzigen mit diesem Vorhaben und es würde voll werden. Aber irgendwie würden wir schon unterkommen.

Bald wurde es stockdunkel und wir packten die Stirnlampen aus. Unseren Lichtkegeln folgend wandten wir uns dem Steig durchs G’hackte zu, der zum plateauartigen Hauptkamm der Hochschwabgruppe hinaufführt.

Auf einem Absatz blieben wir stehen und schalteten die Stirnlampen aus. Schwarz und stumm lag die breite Südwand vor uns. Riesenhaft wirkte sie in der Dunkelheit, und ehrfürchtig blickten wir hinüber. Plötzlich huschten einige Gämsen wie lautlose Schatten an uns vorbei und verschwanden. Als wir so standen und staunten, fühlte ich mich ganz eins mit der Bergwelt um uns herum. Klein und doch Teil dieses Ganzen, das sich um uns herum in der Finsternis verlor.

Oben angekommen wanderten wir zunächst zum Fleischerbiwak, in das wir aus Neugierde auch einen Blick warfen. Drei Bergsteiger lagen bereits in ihren Schlafsäcken auf dem Boden der Biwakschachtel. Sie boten uns an, auf den schmalen Bänken zu schlafen, aber wir wollten es doch lieber in der Hütte versuchen. Dort würde es weniger kalt sein.

So wanderten wir weiter durch die Nacht, um den Gipfel des Hochschwab herum bis zum Schiestlhaus (2156 m). 18:45 Uhr trafen wir an der Hütte ein. Und waren gespannt, ob wir noch ein Platzerl im Winterraum bekommen würden. Das Öffnen der Tür offenbarte uns dann zweierlei: Erstens war es ziemlich voll und zweitens herrschte innen ein unwahrscheinlicher Mief. Puh, das würde was werden. Aber wenigstens war es da drinnen warm.

Es stellte sich bald heraus, dass die eigentlichen Lagerplätze schon voll belegt waren. Die Leute, die hier noch herumstanden, gehörten zu einer großen Gruppe aus der Slowakei, die es sich auf dem Boden des Aufenthaltsraumes „bequem“ machen würden. Netterweise überließen sie uns den Vorraum, also den, in dem man sich normalerweise die Schuhe auszieht. Glück gehabt!

Die Kombination aus Abstreifteppichboden und einer Wolldecke erwies sich als eher harte Bettstatt. Unsere Schlafstellung richtete sich daher zumeist danach, welche Körperteile gerade am wenigsten wehtaten. Und als um sechs der Wecker klingelte, waren wir beide erleichtert, dass die Nacht vorbei war. Aber immerhin hatten wir nicht gefroren.

Hochschwab-Gipfel und -Südwand

Nach einem knappen Frühstück traten wir vor die Tür – und da war die unbequeme Nacht gleich vergessen. Denn am östlichen Horizont zeigte sich das Morgenrot über den nebelgefüllten Tälern, dazwischen schwarz die Silhouetten der Berge. Was für ein Anblick!

Als kurz darauf die Sonne aufging, waren wir bereits auf dem Weg zum nahen Hochschwab-Gipfel (2277 m). Orange leuchteten die herbstlichen Grasmatten um uns herum und die östlich ausgerichteten Kalkwände schienen Feuer zu fangen. Die Sicht war herrlich und wir konnten in der Ferne viele prominente Berge wie Ötscher, Hochtor und Großen Priel ausmachen.

Auch am Gipfel mussten wir noch einmal verweilen und die Aussicht bestaunen. Mur- und Mürztal sowie Grazer Becken lagen unter Nebel verborgen und dahinter erhoben sich Gipfel wie Stuhleck und Zirbitzkogel. Nach Südosten hin letzte alpine Erhebungen, die nun im Morgenlicht lange Schatten aufs Nebelmeer warfen.

Schließlich rissen wir uns doch los, wir wollten ja heute noch klettern. Also verließen wir den Gipfel nach Südwesten und wanderten am Biwak vorbei zurück zum G’hackten. Am P1785 deponierten wir dann ein wenig Ausrüstung und begannen, die Südwand zu bewundern. Schon ziemlich groß, diese Wand. Mit 300 m nicht extrem hoch, dafür umso breiter und auch ganz schön steil.

Wir wanderten noch ein Stück Richtung Trawiessattel, dann orientierten wir uns. Nach Vergleich von Wandbild und Realität meinten wir, den Wandabschnitt mit dem Knablweg ausgemacht zu haben und machten uns auf den Weg durch die Eisgruben zur Wand. Einige Steinböcke beäugten uns dabei kritisch. Vielleicht wussten sie schon, dass wir vollkommen falsch unterwegs waren.

Was jetzt folgte, war keine orientierungstechnische Meisterleistung. Durch viel zu anspruchsvolles Zustiegsgelände erreichten wir eine viel zu anspruchsvolle Kletterroute. Und stiegen dort auch noch ein. Nach zwei Versuchen und Rückzügen (jeder durfte mal) und einmal Abseilen über den Vorbau begriff Boris als Erster, was los war. Wir waren in einem völlig falschen Wandabschnitt und mussten viel weiter nach rechts.

Die ganze Sache hatte uns einen Karabiner, ein paar Nerven und viel Zeit gekostet. Für den Knablweg war es mittlerweile zu spät. Was also nun? Absteigen? „Wir könnten noch den Baumgartnerweg machen,“ schlug ich vor. Der war ziemlich leicht und wenn wir ihn schnell fänden und noch vor Mittag einstiegen, wäre das okay.

Boris stimmte zu und so gingen wir nach rechts um eine Ecke und entdeckten dort den Wandabschnitt, zu dem wir die ganze Zeit schon gemusst hätten. Hier war also der Knablweg – und ganz rechts in diesem Abschnitt auch der Baumgartnerweg.

Da Boris Füße in den Kletterschuhen schmerzten, beschlossen wir, dass ich die etwas schwierigeren Längen vorsteigen würde und er in Bergschuhen die etwas leichteren (ein wenig wie am Piz Kesch, nur andersherum).

Kur vor zwölf stieg ich also doch noch in eine erste Seillänge (II+) ein. Diese führt in einer breiten Rinne aufwärts und weist trotz ihrer geringen Schwierigkeit sogar gebohrte Zwischenhaken auf. Boris übernahm dann Länge zwei, die über ein Wandl und dann nach links aus der Rinne hinausführt (III).

In der dritten Seillänge ging es für mich anschließend weiter nach links und an einer Rippe auf ein Band mit Sanduhr (III). Ein gebohrter Stand wäre wohl nur wenige Meter links unterhalb gewesen. Da sie etwas plattig war, übernahm ich auch gleich noch die vierte Seillänge, in der ich weiter nach links querte und über zwei schöne Aufschwünge nach oben stieg. Der zweite dieser Aufschwünge bot eine der schönsten Kletterstellen der Tour an schrägen Schuppen (III).

In Länge fünf kletterte Boris noch ein kurzes Stück hinauf und dann durch Schrofen weit nach links zu einem Standplatz direkt unter dem großen Wulst, der diesen Wandteil dominiert (III-). Seillänge sechs führte mich anschließend links um den Wulst herum (II+). Hier erkletterte ich einige kleine Platten direkt, was Unterhaltungswert und Schwierigkeit ein wenig steigerte.

Die Längen sieben bis neun (II-, III-, II+) führten leicht durch eine Schrofenrinne beziehungsweise teils links davon nach oben. In der zehnten Seillänge wählte ich dann die linke, anspruchsvollere Variante (IV-). Dort machte ich allerdings den Fehler, am ersten Haken nicht nach links um eine Kante zu gehen, sondern gerade nach oben. Das war etwas schwieriger und führte mich außerdem außer Reichweite am zweiten Haken vorbei. Quasi die Direktvariante der Direktvariante. Aber auch so erreichte ich bald den Ausstieg und konnte Boris nachholen.

Knapp unter drei Stunden hatten wir für die Kletterei gebraucht und mussten uns daher keine Sorgen um den Abstieg machen. Trotzdem sparten wir uns die ca. 100 m zum Gipfel und machten gleich hier Pause. Schließlich waren wir ja heute früh schon oben gewesen.

So saßen wir hier im Gras, die noch warme Nachmittagssonne im Gesicht, und ließen den bisherigen Tag Revue passieren. Schön, dass wir trotz unseres Fehlers noch durch die Südwand geklettert waren. Zwar auf einem anderen Weg als dem geplanten, aber auch der hatte uns gefallen.

Nach einer Stärkung machten wir uns wieder auf den Weg, bewunderten zwischendurch noch einmal die eindrucksvolle Südwand und sammelten unsere Sachen wieder ein. Dann wanderten wir steil hinab ins schöne Trawiestal und schließlich in die Dunkelheit.

Gegen 18:00 Uhr kamen wir wieder am Bodenbauer an. Und während es uns beim Klettern im dünnen Pulli fast zu warm gewesen war, war es hier wieder eiskalt. Wir mussten sogar die Scheiben freikratzen, bevor wir ins Auto steigen konnten. Danach machten wir uns an die lange Rückfahrt nach München.

Ich war froh, dass sich für Boris Geburtstagstour und angesichts der aufwendigen Anreise noch eine Kletterei ausgegangen war. Wir besprachen auch, was wir beim nächsten Mal besser machen könnten, um nicht noch mal in eine völlig falsche Route einzusteigen. Vor allem aber freuten wir uns beide über die herrlichen Eindrücke aus diesen anderthalb Tagen im herbstlichen Gebirge. Und darüber, nach langer Pause mal wieder gemeinsam unterwegs gewesen zu sein.

Daten zur Tour

  • Hochschwab (2277 m) vom Bodenbauer via Schiestlhaus und Südwand
  • Baumgartnerweg Schwierigkeit III (Variante IV-)
  • 10 Seillängen, 330 m
  • Standplätze gebohrt, meist mit Ketten; wenige gebohrte Zwischensicherungen
  • Abstieg über das G’hackte (A/B)
  • 2050 Höhenmeter
  • Baumgartnerweg erstbegangen am 28.06.1920 durch Zeno Baumgartner und Dr. Ludwig Obersteiner
  • Infos und Topo bei bergsteigen.com

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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