Bergtour im Rätikon am 03.10.2025
Mein Versuch, die Schesaplana über den Grat vom Seekopf aus zu erreichen, war nur insofern erfolgreich, als ich am Ende tatsächlich auf beiden Gipfeln stand. Dazwischen lief es nicht so wie geplant.
Schesaplana – höchster Berg im Rätikon. Da wollte ich schon länger mal hoch, die Wanderwege dort hinauf inspirierten mich jedoch nicht allzu sehr. Als ich stattdessen im Alpenvereinsführer von der Möglichkeit las, vom Lünersee aus Seekopf, Zirmenkopf und Felsenkopf zu überschreiten, hatte ich einen Anstieg gefunden, den ich mir ansehen wollte.
Etwa halb neun kam ich für dieses Vorhaben am Parkplatz der Lünerseebahn an. Und da ich etwas spät dran war, benutzte ich ausnahmsweise auch tatsächlich die Seilbahn, um Zeit zu sparen. Am wunderschön gelegenen See warf ich dann erst einmal einen Blick in die Runde. Wunderbar das Panorama von Kanzelköpfen, Kirchlispitzen und Rossberg. Die Gipfel leicht angezuckert, darüber der herbstlich tiefblaue Himmel. Das weckte Vorfreude.
Es schien nur wenig Schnee zu liegen, sodass ich erwartete, die Grate davon frei zu finden (eine Fehleinschätzung). Daher entschied ich mich dafür, die Überschreitung zu versuchen. Immerhin hatte ich zur Sicherheit Steigeisen dabei (eine gute Idee).
Aufstieg durch die Ostwandrinne
Ich wanderte also ein Stück am See entlang und bog dann an der Halbinsel scharf nach rechts ab, um durch die Ostwandrinne auf den Seekopf zu steigen. Nach etwas Gras- und Schuttgelände erreichte ich den unteren Teil der Rinne, der vorwiegend leichte Blockkletterei erfordert und in einer rechts-links-Schleife auf eine Terrasse führt.
Von der Terrasse aus setzte sich die Rinne – fast in rechte Winkel zur bisherigen Richtung – nach rechts oben fort. Sie wurde nun deutlich steiler und kompakter. Im unteren Teil umging ich einen Abschnitt in den rechten Begrenzungsfelsen (II), dann kraxelte ich in der Rinne weiter. Der plattige Fels war hier meist sehr fest und forderte schon mal den III. Grad. Das Steigen machte mir Freude und ich kam gut voran.
Ab ca. 2500 m legte sich die Rinne zurück und wurde auch brüchiger. Schließlich lief sie in einem sehr unangenehmen Schutthang nach oben hin aus. Am Sattel angekommen war ich froh, das hinter mir zu haben. Jetzt wandte ich mich nach links, dem hier breiten Nordostgrat zu. Ui, hier lag mehr Neuschnee als erwartet. Der Hang vor mir war nicht sehr steil, sodass der Schnee kein Problem darstellte. Ich ahnte aber bereits, dass sich das noch ändern könnte.








Ein Stück weiter oben konnte ich dann den steilen Gipfelaufbau vor mir sehen. Links vom Kammverlauf, auf der Ostseite, war der Kletteranstieg erkennbar. Und rechts, auf der Nordseite, führten verschneite Felsbänder und -stufen technisch einfacher zum Gipfel. Ich war gespannt, wo ich da durchkommen würde.
Anspruchsvoller Gipfelaufschwung
Unter dem Gipfelaufbau angekommen, schien mir der Weg nach links zum Kletteraufstieg etwas seltsam. Daher beschloss ich, die Steigeisen anzulegen und es auf der Nordseite zu versuchen. Ich querte also bald in die Steilflanke und fand eine logische Aufstiegslinie. Das Steigen war jedoch heikel, da ich den Untergrund unter dem Schnee nicht erkennen und daher nur schwer vernünftige Tritte identifizieren konnte. Während ich dort durch den Schnee stöpselte, zeigte sich oben plötzlich das Gesicht einer Steingeiß, die mein Tun neugierig beobachtete. Ich konnte nichts hören, aber ich bin sicher, innerlich hat sie gelacht über so viel Inkompetenz.
Nach einigen weiteren Minuten sah ich ein, dass das hier wenig bringen würde und außerdem das Potenzial hatte, mich in eine richtig unangenehme Situation zu bringen. Also zog ich mich zurück zum Sattel unter dem Gipfelaufbau.
Nachdem die Erkundung der nordseitigen Umgehung nicht erfolgreich gewesen war, beschloss ich, mir den Kletteranstieg noch einmal genauer anzusehen. Also querte ich wieder auf die Sonnenseite und stand bald vor einer steilen Wand, insgesamt etwa 20 m hoch. In der Mitte eine Rippe zwischen zwei Rissen, rechts davon unstrukturierte Platten, links davon gestufte Wand. Das sah gar nicht schlecht aus, wenn auch sehr steil.
Na dann wollen wir mal, dachte ich mir. Der Einstieg war, wie so oft, etwas seltsam, dann stand ich bald in der gestuften Wand. Und als ich merkte, dass die deutlich anspruchsvoller war als gedacht, hätte ich eigentlich umdrehen sollen. Die IIIer-Stellen unten in der Rinne waren mir relativ leicht gefallen. Doch hier war die Kletterei viel anhaltender, steiler und auch etwas schwieriger. Und dass die größeren Absätze mit Neuschnee verziert waren, half auch nicht.
Doch statt umzudrehen, kletterte ich weiter. Nach etwa 3⁄4 der steilen Wand stieg ich dann auf die Rippe, die zwar etwas brüchiger, dafür aber auch strukturierter war. Dann spreizte ich zwischen Rippe und rechter Plattenwand auf Reibung über den Riss. Auch das wäre nochmals eine gute Gelegenheit gewesen, umzudrehen. Ich hätte die Stelle wohl auch abwärts bewältigt, aber mit weniger Reserve, als ich es mag.
Nun ja, nach etwa drei weiteren steilen Metern legte sich das Gelände zurück und wurde deutlich leichter. Ich schätze, dass zuvor etwa 10 – 12 m durchgehend im III. Grad zu bewältigen waren. Als ich dann ein paar Meter weiter an einer Abseilschlinge vorbeikam, dachte ich mir, dass ein Seil jetzt eine wirklich feine Sache wäre …








Wenn ich alleine unterwegs bin, bin ich normalerweise sehr diszipliniert darin, nur dort hinaufzusteigen, wo ich auch absolut sicher wieder herunterkomme. Doch heute hatte ich mich hinreißen lassen. Wohl, weil ich im oberen Teil den Rest der Wand schnell hinter mich bringen wollte. Und auch, weil ich im Kopf hatte, dass der Gratabstieg auf der anderen Seite deutlich leichter sei.
Ich ärgerte mich ein wenig über meine Forschheit. Aber jetzt war ich schon mal hier, da konnte ich auch die Aussicht genießen. Und die hat es in sich. „Seekopf“ klingt nicht gerade spektakulär, aber der Gipfel (2698 m) fällt nach allen Seiten sehr steil ab und entsprechend eindrucksvoll sind die Tiefblicke.
Eindrucksvoll war auch der Blick am Grat entlang zu Zirmenkopf und Schesaplana. Ziemlich lang war dieser Grat. Und sah auch nicht nach „ohne nennenswerte Schwierigkeiten“ aus, wie es der Alpenvereinsführer in Aussicht gestellt hatte. Dazu auf der Nordseite überall Schnee bis zur Gratkante. Da hatte ich mich in eine etwas unangenehme Situation gebracht, denn zurück wollte ich nicht recht, und voran war unsicher, ob ich durchkommen würde. Immerhin war eines klar: Die Überschreitung war egal. Die würde ich bei den heutigen Verhältnissen schon allein zeitlich nicht mehr hinbekommen. Wichtig war jetzt nur, sicher wieder hinunterzukommen.
Auch der Westgrat hat es in sich
Nach einer Gipfelrast gegen 11:30 Uhr nahm ich dann also den langen Westgrat in Angriff, darauf hoffend, dass er zumindest leichter sein würde als mein Aufstiegsweg. Dabei bekam ich mehrmals ein kleines Steinwildrudel zu Gesicht, mit deren Geländegängigkeit ich leider nicht mithalten konnte.
Der Abstieg am Grat wurde langwierig und mühsam. Viel Schrofengelände, viel Schotter und „Rollsplitt“, abschüssige Bänder und einige Kletterstellen bis II erforderten sehr vorsichtiges Gehen. Außerdem konnte ich keinerlei Begehungsspuren oder Orientierungshilfen finden. Und sobald ich in die Nordseite musste, wurde es nochmals heikler, weil der Neuschnee den Untergrund tarnte. Für eine Passage legte ich sogar noch mal die Steigeisen an. Dort musste ich zunächst über verschneites Schottergelände und über ein schmales Felsband queren, dann eine unangenehme IIer-Stelle abklettern und dann über schneebedeckte Platten wieder ein Stück hoch. Joah, es gibt Schöneres.
Immerhin wurde es nach diesem Abschnitt zunächst etwas leichter und ich kam zügiger voran. Also bis ich vor dem nächsten markanten Grataufschwung stand. Gerade hoch war steil und glatt, gar keine Chance. Rechts herum konnte ich kein Band erkennen, sondern nur abschüssige, schneebedeckte Felsen. Das sah gefährlich aus. Links herum fand ich eine senkrechte Verschneidung und ein bald endendes Felsband. Und nun?
Ich schaute mich noch einmal um. Hmmm, von der letzten Scharte aus zog eine schwach ausgeprägte Rinne nach unten, die in ein nach links abwärts laufendes Schrofenband überging. Und letzteres sah tatsächlich so aus, als würde es nicht so bald abbrechen. Da ich keine bessere Idee hatte, versuchte ich also hier mein Glück.
Über grasige Schrofen, loses Geröll, auch mal plattigen Fels tastete ich mich voran, um Vorsprünge und Abbrüche herum. Und stets gespannt, ob mich das Band gen Tal führen oder sich doch noch als Sackgasse erweisen würde. Nach einigen Kurven konnte ich vor mir eine steile Rinne erahnen, die von der Gratkante aus den ganzen Hang durchschnitt. Die könnte mein Ausgang sein. Aber würde ich in die Rinne hinabsteigen können? Auf der gegenüberliegenden Seite sahen die Begrenzungsfelsen sehr senkrecht aus.







Endlich konnte ich auf eine kleine Schottererhebung steigen und direkt in die Rinne blicken. Und erleichtert aufatmen: Ein recht gutmütiges Fels- und Geröllband leitete abwärts in die Rinne und bis zum Ansatz der großen Geröllreißen über dem Totalpsee. So ein Glück – jetzt war ich so gut wie durch.
Schesaplana als Zugabe
Nachdem ich auch den restlichen Abstieg konzentriert hinter mich gebracht hatte, stand ich 14:15 Uhr in der Nähe der bereits geschlossenen Totalphütte. Froh, dieses kleine Abenteuer wohlbehalten überstanden zu haben.
Was also jetzt? Zurück zum Lünersee? Oder weiter zur Schesaplana? Es war schon etwas spät, aber noch würde es sich ausgehen. Würde auch die Kraft noch reichen für 600 Hm? Das lange Gehen im anspruchsvollen, weglosen Gelände hatte schon ein paar Körner gekostet. Na ja, dachte ich mir, probiere ich es einfach.
Also los, bergan gen Schesaplana! Ich brauchte ein wenig, um meinen Rhythmus wiederzufinden. Und auf 2600 m musste ich auch noch mal eine kurze Pause machen und etwas essen. Dann aber ging es immer besser. Ich war zwar nicht gerade schnell, kam aber gleichmäßig voran.
Die meisten Schesaplana-Besucher befanden sich bereits im Abstieg, aber immerhin eine Gruppe und ein Paar mit Hund stiegen ebenfalls noch auf. Ich war also nicht alleine hier oben. Kurz nach 15:30 Uhr hatte ich es dann tatsächlich geschafft und stand in 2965 m Höhe am Gipfel der Schesaplana. Toll! Die Aussicht war natürlich gigantisch – ich war nur etwas traurig, dass ich heute die gute Kamera vergessen hatte und nur mit dem Telefon fotografieren konnte. Trotzdem war es eine Riesenfreude, nun hier oben zu sitzen und den Blick über Bodensee, Rheintal und ein fast endloses Gipfelmeer schweifen zu lassen.
Nach Norden hin stand der Bregenzer Wald gegenüber mit dem Glatthorn, nach rechts schlossen sich Lechquellengebirge und Lechtaler Alpen an. Auch die fernere Zugspitze zeigte sich im Hintergrund. In der Silvretta waren Fluchthorn, Piz Tasna und der spitze Piz Linard zu erkennen. Und links hinter dem Linard zeigte sich auch der wuchtige Ortler. Im Süden dann die Gipfel der Albula-Alpen wie Piz Ela und Tinzenhorn. Der Piz Platta schaute hervor und davor das Aroser Rothorn. So viele Gipfel! Und so ein Privileg, auf einigen davon bereits gestanden zu haben.
Um 16:00 Uhr wandte ich mich zum Gehen. Ich hatte ja noch etwas Strecke vor mir, zumal schon klar war, dass ich die letzte Talfahrt am Lünersee verpassen würde. Also ging ich den mittelschweren Weg zügig bergab. Oberhalb der Totalp musste ich noch einmal anhalten und den Blick über den Lünersee und auf die Drusenfluh auf mich einwirken lassen. Wirklich ein schönes Stück Gebirge.











Dann wanderte ich weiter talwärts, an der Hütte vorbei zum See. Dann am Ufer entlang, noch einmal zum steilen Seekopf hinaufblickend, und schließlich über den Bösen Tritt hinab zum Parkplatz. 18:00 Uhr traf ich dort ein, froh, die schweren Bergschuhe wieder ausziehen zu können. Heute hatte ich mich zwischendurch in eine etwas unangenehme Situation gebracht. Und dank einer Kombination aus Intuition, Können und auch Glück wieder herausgefunden. Also ein richtiges kleines Abenteuer.
Daten zur Tour
- Seekopf (2698 m), Aufstieg über Ostwandrinne und Nordostgrat, Abstieg über Westgrat, Schwierigkeit T6, III
- Schesaplana (2965 m), über Totalaphütte, Schwierigkeit T3
- In Kombination 1500 Höhenmeter ab Lünersee
2 Kommentare
Flachlandtiroler · 17. Oktober 2025 um 8:02 a.m.
Witzig, dass Du als Fels-qualitätsbewußter Kletterer Dich von so einem Bruchhaufen aus der Reserve lockt lässt 😉
Deine Einschätzung findet sich auch 1:1 bei hikr wieder:
https://www.hikr.org/tour/post112273.html
(Die Kommentare sind aufschlußreich…)
Wobei der westseitige Auf-/Abstieg demzufolge nochmal ein besonderes „Schmankerl“ sdarstellt 🙂
VG, Martin
Hannes · 19. Oktober 2025 um 6:28 p.m.
Servus Martin,
die Felsqualität fand ich insgesamt gar nicht besonders übel. Ungefähr wie erwartet halt. Und gerade die IIIer-Passage war überwiegend fest. Ungesichert 10m anhaltend im III. Grad ist für mich einfach kein Komfortgelände mehr.
Den hikr-Bericht habe ich auch gelesen, danke für den Link. Und angesichts der Beschreibung bin ich sehr froh, mich aus der nordseitigen Umgehung zurückgezogen zu haben. Das hätte mit Neuschnee wirklich haarig werden können. So habe ich mich zwar auch etwas unwohl gefühlt, aber nie akut.
Beste Grüße
Hannes