Wanderung in den Walliser Alpen am 16.06.2015

Als ich um sieben aufwachte, verging meine Motivation schlagartig. Eigentlich wollte ich ja wandern gehen, aber bei dem Regen? Lieber noch mal umdrehen. Zwei Stunden später sah es schon besser aus, also aufstehen, gemütlich frühstücken und Rucksack packen. Mittlerweile hatte der Regen ganz aufgehört, also schauen wir mal, was der Tag noch hergibt.

Von Praz-de-Fort (1151m) aus suchte ich den Wanderweg hinauf nach La Tèjere. Nach etwas planlosem Querwaldeinstapfen hatte ich ihn auch gefunden, nur um an der nächsten Kreuzung ratlos vor einer steilen Böschung zu stehen, wo laut Karte eigentlich der Weg sein sollte. Die Schweizer Landeskarte hat ja eigentlich immer recht, also suchen. Es dauerte etwas, bis ich einsah, dass hier nichts mehr war und der Weg seit 2010, dem Jahr der letzten Redaktion der Karte, wohl verlegt worden war. Etwa 200m einen Forstweg hinauf war es dann soweit und ein Wanderweg zweigte ab. Wäre ich halt gleich den Schildern gefolgt!

Die Berge auf der anderen Tagseite stecken noch in Wolken.

Die Berge auf der anderen Tagseite stecken noch in Wolken.

Nun ging es durch den vom vielen Regen der Vortage noch feuchten Wald hinauf. Der Weg wird offensichtlich nicht oft begangen, ist dabei aber durchaus abwechslungsreich. An der verfallenen Alm von L’Allouage (17758m) wählte ich den Abzweig nach rechts, der noch einmal weniger begangen aussieht. Kurz bevor ich die Alm La Sasse (1970m) erreicht, schreckte ich eine Birkhuhn-Mutter auf, die mit ihren Kücken direkt neben dem Weg gesessen hatte. Wahrscheinlich hätte ich sie gar nicht bemerkt, wenn sie nicht aufgeflattert wäre, so gut war die Familie im Unterholz versteckt.

Birkhuhn-Kücken

Birkhuhn-Kücken

L'Allouage

L’Allouage

Ab La Sasse führt der Weg über Bergwiesen weiter aufwärts, bis er bei La Tèjere (2267m) endlich den Kamm erreicht. Hier nun wandte ich mich nach rechts meinem Gipfelziel zu, dem Tour de Bavon. Es gab hier eine gute Pfadspur am Kamm, später fand ich auch Steinmänner und noch später sogar Markierungen, was mich überraschte, war auf der Karte doch gar kein Weg eingezeichnet. Ein beunruhigender Gedanke: Enthält die Schweizer Landeskarte 1:25000, diese Perfektion der klassischen Kartographie, etwa Lücken oder Fehler??

Die Alpenrosen blühen.

Die Alpenrosen blühen.

Bevor ich mir darüber den Kopf zerbrach, wanderte ich lieber weiter über den Kamm nach Süden. Es nieselte nun leicht, insgesamt spielte das Wetter aber ganz gut mit. Nur die Aussicht hätte natürlich besser sein können. Dafür haben solche Wolkenstimmungen auch etwas für sich.

Der Gipfel des Tour de Bavon

Der Gipfel des Tour de Bavon

Wie auch einige andere Gipfel in diesem Kamm ist der Tour de Bavon etwas nach Osten versetzt, so dass ich noch ein Stück abzweigen musste. Auch hier waren Spuren erkennbar, dazu war der Anstieg erstaunlich leicht, nur kurz mussten die Hände aus den Hosentaschen, bis ich dann kurz vor halb zwei am Gipfel auf 2476m stand und die Aussicht in die Wolken genoss. Da sich das Wetter aber doch zahm gab, beschloss ich, weiterzugehen, denn der Kamm gefiel mir landschaftlich sehr gut.

Schroffe Felsen, sanfter Kamm

Schroffe Felsen, sanfter Kamm

Also wanderte ich über einen breiten Rücken weiter südwärts. Im Anstieg zum P2544 wurde es immer nebliger, dafür wurden Pfadspuren und Markierungen immer deutlicher. So würde ich mich auch im dichtesten Nebel nicht verlaufen, dachte ich mir, während mich von oben schon zwei Gämsen neugierig beobachteten. Als ich dann am Sattel ankam, schaute ich ziemlich verdutzt. Zwei große Steinböcke schauten aus wenigen Metern für einen Moment genau so verdutzt zurück, dann erhoben sie sich blitzschnell und galoppierten fast lautlos davon.

Den Abzweig zum Bec Rond ließ ich aus Zeitgründen aus (im Nachhinein bedauerlich, aber gut) und wandte mich gleich dem südseitigen Abstieg zu. Den ich dann erstmal nicht fand, denn hier gab es keine frischen Markierungen, sondern nur alte, ausgeblichene. Es dauerte etwas, bis ich einsah, dass ich zu weit links suchte und weiter westlich absteigen musste. Schließlich fand ich doch noch den richtigen Abstieg und konnte weiterwandern.

Kurz kann ich ins Tal blicken.

Kurz kann ich ins Tal blicken.

Im Anstieg zum Roc de l’Oiseau sah ich vor mir eine große Herde Gämsen. Bestimmt zwanzig Tiere waren dort unterwegs – in so großer Zahl hatte ich sie noch nie gesehen. Weiter oben wird das Gelände felsiger und die Markierungen wiederum besser. Auch die Wolken hoben sich vorübergehend, so dass ich auch wieder sehen konnte, wo ich hinging.  Den Mini-Abstecher zum kleinen Gipfel (2523m) ließ ich mir nicht entgehen und traf dabei auch die beiden Steinböcke wieder. Es wiederholte sich die Szene vom ersten Mal: Ich schaue überrascht, sie schauen überrascht und weg sind sie.

Kurz nach dem Gipfel, gegen 15:00 Uhr, erreichte ich den Abstieg nach Prayon. Schnell wurde klar, dass ab hier der Weiterweg am Kamm nicht mehr markiert sein würde. Noch waren Pfadspuren zu erkennen, aber ich wusste nicht, wie es weiter oben im anspruchsvolleren Teil sein würde. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich dann dafür abzusteigen, obwohl es mich natürlich gereizt hätte, weiter über den Mont de la Fouly zu gehen. Bei guter Sicht wäre ich wohl weitergegangen, ebenso, wenn ich einfach zwei Stunden früher hier angekommen wäre – so erschien mir ein Abstieg sinnvoller. So ist es halt: Der späte Vogel fängt nur die kleine Tour, wobei klein relativ ist, denn ich hatte auch hier schon über 1600 Hm in den Beinen.

Der Abstieg hat begonnen.

Der Abstieg hat begonnen.

Die Wolken hängen noch in den Bergflanken.

Die Wolken hängen noch in den Bergflanken.

Der Abstieg forderte oben auch noch mal Konzentration, weiter unten ging es dann durch immer farbenfroher werdende Bergwiesen entspannter abwärts, bis ich schließlich gegen halb fünf Prayon erreichte. Schön war’s und vielleicht schaue ich mir ja ein anderes Mal auch noch den Rest der Überschreitung an.

Wächter über dem Tal

Wächter über dem Tal

Daten zur Tour

  • Tour de Bavon & Roc de l’Oiseau (2523m)
  • Schwierigkeit T4, I
  • 1650 Höhenmeter

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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