Tag 12:

Der Morgen des zwölften Tages begann mit einer Funktionsüberprüfung; Schulter – tut noch weh, aber geht schon, Hinterteil – schön bunt und etwas druckempfindlich, sonst okay, Sprunggelenk – noch dick, aber fast schmerzfrei. Alles klar, es kann losgehen!

…zumindest zum Frühstück im Café von Red’s Meadow, denn das war schon der erste Höhepunkt des Tages. Ich wählte natürlich das größte auf der Karte, das „Packer’s Special“, bestehend aus drei Pancackes, zwei Eiern und Bacon. Großartig! Normalerweise wahrscheinlich eine ganze Tagesration an Kalorien, hier immerhin genug Energie für die ersten zehn Meilen.

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Anschließend ging ich zunächst an den beeindruckenden Basaltsäulen des Devil’s Postpile vorbei; eine Brücke über die Middle Fork des San Joaquin stellte dann zum einen den mit ca. 7500 ft (2285m) tiefsten Punkt der High Route dar und markierte zum zweiten meine Rückkehr in die Wildnis.

Die Basaltsäulen des Devil's Postpile

Die Basaltsäulen des Devil’s Postpile

An der Brücke in die Wildnis

An der Brücke in die Wildnis

Ich hatte befürchtet, dass ich nach meinem Ausflug in die Zivilisation Motiviationsschwierigkeiten haben könnte, doch stattdessen stieg ich zügig und voller Vorfreude auf das typische High Route-Gelände in den höheren Lagen den Pfad nach Westen hinauf. Kurz vor Mittag erreichte ich Superior Lake, wo ich den Trail verließ, um Nancy Pass zu ersteigen. Der Anstieg war sehr steil, unten schlammig und botanisch, oben dann durch loses Geröll führend, allerdings nur 600 ft hoch.

Vom Pass aus galt es dann, etwas absteigend zum Minaret Lake zu queren. Die Route war nicht immer ganz offensichtlich, aber ich fand immer wieder eine gute Variante für den nächsten Abschnitt. Inzwischen hatte sich das Wetter verschlechtert. Dunkle Wolken wurden über die Ritter Range geblasen und es fielen auch ein paar Regentropfen. Weiter südlich sah man heftigen Regen und sogar Hagelschauer. Wieder mal hatte ich Glück, dass es mich nicht erwischte.

Über Mammoth Mountain bilden sich Gewitterwolken

Über Mammoth Mountain bilden sich Gewitterwolken

Am wunderschön gelegenen Minaret Lake traf ich einen Wanderer wieder, mit dem ich mich bereits in Red’s Meadow kurz unterhalten hatte. Er war bereits seit 50 Tagen unterwegs, wanderte ziemlich kreuz und quer durch die High Sierra und orientierte sich dabei ganz grob an der High Route. Heute hatte er allerdings den Trail gewählt, der direkt hier hoch führt, und Nancy Pass so umgangen. Nun war er dabei, nach seinem Abendessen zu fischen.

Minaret Lake und dahinter Clyde Minaret

Minaret Lake und dahinter Clyde Minaret

Wir unterhielten uns eine ganze Weile, doch um zwanzig vor vier riss ich mich dann endlich los – schließlich wollte ich noch ein gutes Stück weiter gehen. Vom Minaret Lake aus steigt man zum höchstgelegenen Punkt dieses Tages – Cecile Lake (10239 ft, 3120m) – auf und muss dann zum Nordende des unterhalb gelegenen Iceberg Lake über ein steiles Schneefeld queren. Und diese Querung wollte ich an diesem Tag noch hinter mich bringen, damit ich sie nicht morgens über gefrorenen Schnee würde machen müssen.

So stieg ich also zunächst zum Cecile Lake. Kurz unterhalb des Sees muss eine steile Felsstufe überwunden werden. Geradeaus führte ein kurzer Kamin hinauf, weiter rechts konnte man augenscheinlich etwas einfacher durch eine flache Verschneidung aufsteigen. Doch der Kamin sah so interessant aus, dass ich ihn einfach versuchen musste. Also schob ich meine Wanderstöcke zusammen, steckte sie hinter den Schultergurt meines Rucksacks und legte Hand an den Fels. Und es war eine Freude! Fester Fels, leichte Kletterei bis II, nur leider viel zu kurz.

Nach dieser kleinen Einlage war ich extrem gut drauf. Als ich anschließend durch Blockhalden auf der Ostseite des Sees nach Norden wanderte, musste ich mich zurückhalten, nicht von Fels zu Fels zu springen. ‚Jetzt bloß nicht überdrehen,‘ dachte ich mir, ’sondern diese beiden Querungen konzentriert zu Ende bringen.‘ Endgültig ernüchtert wurde ich dann, als ich auf Iceberg Lake hinabblickte. Mann, war das steil! Und ich hatte keinen Schimmer, wie ich da hinunter kommen sollte.

Blick hinunter zum Iceberg Lake; an der Schattenlinie befindet sich ein etwa 130m tiefer Steilhang.

Blick hinunter zum Iceberg Lake; an der Schattenlinie befindet sich ein etwa 130m tiefer Steilhang.

Nach einem Moment der Ratlosigkeit querte ich ein Stück oberhalb des Hanges und fand einen Pfad durch steiles, loses Geröll. Auch hier war es steil, aber mit etwas Konzentration konnte man sicher absteigen. Schließlich kam ich an das Schneefeld, das steil in den See abfällt. Die vorhandene Spur lag für meinen Geschmack etwa zu tief – ich habe einen Heidenrespekt vor unterspülten Schneefeldern – so dass ich lieber eine neue anlegte. Ausrutschen wäre hier keine gute Idee gewesen, so dass ich mir Zeit ließ. Schließlich erreichte ich das Nordende des Sees und bekam wieder Felsen unter die Füße.

In der Querung zum Nordende des Sees

In der Querung zum Nordende des Sees

Etwas nördlich des Sees errichtete ich dann auch mein Nachtlager. Es war noch immer windig, mit gelegentlichen stürmischen Böen, dazu regnete es leicht. Etwas näher am See campten Chris und Bob aus Reno, mit denen ich mich später noch länger unterhielt. Eigentlich wollte ich sie nur danach fragen, was sie von diesem seltsamen Wetter hielten, doch entwickelte sich daraus ein längeres Gespräch. Bob spendierte dann noch ein wenig von dem hervorragenden dreifach destillierten Tequila, den er dabei hatte.

Es wurde ein lustiger Abend; die Nacht war dann nicht ganz so gut. Das Tarp erwies sich zwar als sehr beständig auch gegen Seitenwind; trotzdem störten mich die Böen in meinem Schlaf.

Tag 13:

Auch am nächsten Morgen zogen dunkle Wolken von Südwesten her über den Himmel; immerhin lockerte die Bewölkung langsam auf. Ein kurzes Stück folgte ich Shadow Creek auf seinem Weg zum Ediza Lake, dann bog ich nach links ab und stieg in Richtung Mount Ritter auf. Während der Tourenplanung hatte ich mit dem Gedanken gespielt, statt ihn nördlich zu umgehen, Mount Ritter direkt zu überschreiten. Sowohl auf der Ost- als auch auf der Westseite gibt es nicht allzu schwere Anstiege, so dass diese „Abkürzung“ sehr verlockend war. Allerdings war mir bei den gegenwärtigen Schneemengen sofort klar, dass dies eine Unternehmung würde, die den heutigen Tag mindestens ausfüllen und verdammt anstrengend sein würde. Eine Nummer zu groß für diese Tour. Hinzu kam, dass mir heute – sei es wegen des hohen Tempos der letzten beiden Tage oder wegen der schlechten Nacht oder vielleicht auch wegen des Tequilas – alles ein wenig schwerer fiel als am Tag zuvor.

Mount Ritter und Banner Peak werden von der Morgensonne beschienen

Mount Ritter und Banner Peak werden von der Morgensonne beschienen

Also bog ich nach Norden ab, fand oberhalb der Nydiver Lakes Whitebark Pass und stieg dann steil zum westlichen Ende von Garnet Lake ab. Von dort ging es über einen weiteren Sattel zum erstaunlichen Thousand Island Lake, den ich am späten Vormittag erreichte. Inzwischen zogen erneut Wolken auf; es sah so aus, als würde es heute noch ein Gewitter geben. Ich schätzte aber, dass ich Glacier Lake Pass, meinen Weg über die Ritter Range, zwischen Banner Peak und Mount Davis gelegen, noch rechtzeitig würde überschreiten können.

Blick hinab vom Whitebark Pass zum Garnet Lake

Blick hinab vom Whitebark Pass zum Garnet Lake

Kurz vor zwölf, ich hatte gerade mit dem Aufstieg begonnen, kam mir ein Snowboarder entgegen. Er hatte sich vorgenommen, in jedem Monat mindestens einmal Snowboard zu fahren und nun fehlte ihm nur noch September. Er teilte meine Gewittereinschätzung und so setzte ich meinen Aufstieg fort. Inzwischen war ich auch wieder recht zügig unterwegs und erreichte zwanzig vor eins den 11158 ft (3400 m) hohen Pass.

Am Pass wehte ein starker Westwind und es war recht ungemütlich. Allerdings erkannte ich auch, dass sich die Quellwolken erst über dem Kamm bildeten; westlich der Ritter Range waren nur einige einzelne Schönwetterwolken zu sehen – über Gewitter musste ich mir also keine Gedanken mehr machen.

Der unweit des Passes gelegene Lake Catherine war noch zu einem großen Teil von Schnee und Eis bedeckt und sogar der Ausfluss war noch komplett überfroren. So war ich froh, früh genug hier zu sein, um noch weitergehen zu können. Hier zu übernachten wäre doch recht ungemütlich geworden.

Der noch zum Großteil von Eis bedeckte Lake Catherine; dahinter Mount Ritter

Der noch zum Großteil von Eis bedeckte Lake Catherine; dahinter Mount Ritter

Der Abstieg von Lake Catherine wartet mit einigen Wegfindungsschwierigkeiten auf. Zunächst gilt es, einen Abstieg über runde, glatte Granitplatten zu finden, kurze Kraxelei ist auch dabei. Etwas unterhalb musste ich dann über einen Geröll- und Wiesenhang zu einem Bach absteigen. Schließlich muss das Ende des Canyons der North Fork des San Joaquin River umgangen werden, um zu den Twin Island Lakes zu gelangen. Ziel ist das Südende des nördlichen der beiden Seen, wo eben jene North Fork aus dem See fließt.

Auf dem Abstieg komme ich an diesem Wasserfall vorbei

Auf dem Abstieg komme ich an diesem Wasserfall vorbei

Die nächste Aufgabe ist es, zum linken Ende des Sees auf der rechten Seite zu gelangen, was schwieriger ist, als es hier aussieht

Die nächste Aufgabe ist es, zum linken Ende des Sees auf der rechten Seite zu gelangen, was schwieriger ist, als es hier aussieht

Bunte Blumen zwischen den Granitklippen

Bunte Blumen zwischen den Granitklippen

Auf dem Weg dorthin finden sich erneut zahlreiche granitene Hindernisse und allgemein unübersichtliches Terrain. Und als ich den See erreichte, fand ich es unmöglich, von dort direkt zum Südende zu gelangen. Erst nach einigen Umwegen kam ich doch noch dort an.

Hier stellte sich gleich das nächste Hindernis in den Weg, die North Fork selbst. Der Fluss ist hier etwa 6 m breit und war für mich hüfttief. Die Strömung ist zum Glück recht schwach, allerdings beginnt etwa 20 m weiter ein äußerst zügiger Abstieg in den Canyon, so dass man hier sicheren Fußes hinüber kommen sollte. Am unangenehmsten bei der Aktion war die Temperatur des Wassers; gleich beim ersten Schritt hinein schmerzten die Fesseln und als ich auf der anderen Seite wieder hinausstieg, waren die Füße taub.

Hier musste ich die North Fork des San Joaquin River durchqueren

Hier musste ich die North Fork des San Joaquin River durchqueren

Nach Überwindung dieses aquatischen Hindernisses stieg ich zum südlichen Twin Island Lake auf, an dessen Südende ich einen gut geschützten Lagerplatz fand. Ich war gerade rechtzeitig mit dem Abendessen fertig, um von einem Granithügel aus den Sonnenuntergang und das Alpenglühen an der Ritter Range zu betrachten. Hier allein zu stehen und dieses wunderschöne Lichtspiel zu betrachten fühlte sich geradezu magisch an. Ein ganz besonderer Moment – und von einem tiefen Glücksgefühl erfüllt ging ich später zu Bett, betrachtete einmal mehr den herrlichen Sternenhimmel und ließ mich auch von gelegentlichen Blitzen im Osten nicht lange vom Einschlafen abhalten.

Mein Lager am südlichen Twin Island Lake

Mein Lager am südlichen Twin Island Lake

Alpenglühen an der Ritter Range

Alpenglühen an der Ritter Range

Die Schatten wandern höher

Die Schatten wandern höher

Der südliche Twin Island Lake

Der südliche Twin Island Lake

Über dem See glühen die Wolken im letzten Licht des Tages

Über dem See glühen die Wolken im letzten Licht des Tages

Tag 14:

Von einer guten Nacht erholt ging ich die Aufgaben des nächsten Tages an. Die erste bestand darin, durch ein Tal aufsteigend nach Westen zu einem kleinen See zu queren. Roper schreibt, dass sich hier viele Wanderer kurzzeitig verliefen, was mich wunderte, denn die Beschreibung schien eindeutig und die Karte legte keine Hindernisse nahe. Inzwischen hätte ich es eigentlich besser wissen müssen! Und so stellte sich das auf der Karte so klar verlaufende Tal als ein Labyrinth aus Granitklippen heraus. Hin- und her wandernd und sowohl Fels als auch grasige Rinnen erkletternd gelangte ich schließlich zum See. Die Kletterei war stellenweise gar nicht mal so einfach und ich war mir sicher, dass es auch einen bequemeren Weg hierher geben musste.

Morgenlicht bescheint das Tal der North Fork

Morgenlicht bescheint das Tal der North Fork

An diesem Tag erkletterte ich einige solcher grasiger Rinnen

An diesem Tag erkletterte ich einige solcher grasiger Rinnen

Der Weiterweg war nun klarer und nach der Querung eines steilen Hanges blickte ich auf Bench Canyon hinab, ein sehr schönes Tal, dessen Grün wie eine Oase inmitten der kahlen Granithänge wirkt. Ich stieg hinab und erfreute mich auf meinem Weiterweg an den grünen Wiesen, kleinen Wasserfällen und farbigen Blumen. Natürlich musste ich hier auch eine Pause einlegen.

Eine grüne Oase inmitten der Granithänge: Bench Canyon

Eine grüne Oase inmitten der Granithänge: Bench Canyon

Endlich ein Photo von einem amerikanischen Murmeltier

Endlich ein Photo von einem amerikanischen Murmeltier

Weiter ging es nach Westen, zum Blue Lake und von dort in stellenweise etwas übermütiger Kraxelei zum Blue Lake Pass, an dem ich Yosemite National Park betrat und außerdem das Einzugsgebiet des San Joaqin River verließ. Ich ermahnte mich, ab jetzt wieder stets die leichteste und sicherste Anstiegsvariante zu suchen, anstatt interessante Rinnen und Verschneidungen zu erklettern. Dann genoss ich ein letztes Mal die Aussicht auf die Ritter Range und die vielen Gipfel südlich von Mammoth Pass, die ich nun nicht mehr sehen würde, und wandte mich der Clark Range und Yosemite zu. Der Abstieg führte einmal mehr über steile Blockhalden, war aber nicht besonders schwierig.

Blick zurück vom Blue Lake Pass auf die Ritter Range (linke Seite) und die südliche Sierra

Blick zurück vom Blue Lake Pass auf die Ritter Range (linke Seite) und die südliche Sierra

Im nächsten Abschnitt ging ich etwas in die falsche Richtung, was vor allem daran lag, dass ich den Kompass, den ich dabei hatte, nicht benutzen und stattdessen mit meinem Orientierungssinn auskommen wollte. Für meinen fehlgeleiteten Stolz musste ich mit einem Umweg bezahlen, fand aber den Isberg Pass Trail, der mich nach Norden bringen sollte, zum Glück trotzdem recht problemlos.

Der Trail führte bald steil hinab ins Tal der Lyell Fork des Merced River, die tosend und wasserreich Yosemite Valley entgegenfließt. Der einzige Übergang über den Fluss war ein recht schmaler Baumstamm – ein Szenario, vor dem ich mich seltsamerweise immer gefürchtet hatte. Und so zögerte ich zunächst. Doch mir wurde schnell klar, dass dies die einzige Möglichkeit war, auf die andere Seite zu kommen. Also nahm ich meinen Mut zusammen und ging los – und letztendlich war es dann gar nicht so schlimm.

Der Baumstamm, auf dem man die Lyell Fork des Merced River überqueren musste

Der Baumstamm, auf dem man die Lyell Fork des Merced River überqueren musste

Also los!

Also los!

Erleichtert, dieses Hindernis hinter mir zu haben, folgte ich dem Trail bis zu einem Bach, der von den Cony Crags herab und weiter zum Washburn Lake fließt. Hier, mitten im Wald, richtete ich mein Nachtlager ein. Eigentlich passte mir der Ort überhaupt nicht, aber den nächsten Wasserlauf hätte ich nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreicht. Ich war unzufrieden mit dem Lagerplatz und unsicher, ob ich es am nächsten Tag von hier aus bis zum nächsten Etappenziel, der High Sierra Mine, schaffen würde. Aber jetzt konnte ich nichts mehr tun als Essen kochen und schlafen.

Der nächste Teil der Geschichte folgt hier.


Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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