Angst. Angst beim Bergsteigen. Fluch oder Segen? Hindernis, Lebensversicherung oder Erlebnisverstärker? Irgendwie eine Kombination aus Allem. Und wahrscheinlich gerade deswegen so faszinierend. Letztendlich erwünscht und gleichzeitig nie willkommen. Nähern wir uns an.

Angst kommt beim Bergsteigen in verschiedenen Geschmacksrichtungen: Angst vor Steinschlag oder Spaltensturz. Angst vor der Ungewissheit, wenn man vor einem großen Berg steht. Und natürlich die akute Angst vor dem Fallen. Angst kann rational begründbar sein oder auch ganz irrational.

Die Meisten von uns haben etwas, dass Ihnen Angst macht, selbst wenn die Gefahr eigentlich gering ist. Bei mir ist das die Angst vor dem Fallen, die ich auch beim Sportklettern nie ganz loswerde. Bei Anderen mag es die Angst vor dem Ausrutschen im Geröll, vor Steinschlag oder was auch immer sein. Gerade dieses irrationale Element macht Angst oft so schwer greifbar und die Auseinandersetzung mit ihr so schwierig.

Angst ist schlecht

Angst kann bedrücken. Wenn ich vor einer Tour nicht sicher bin, ob meine Fähigkeiten dafür ausreichen. Wenn die Unwägbarkeiten so groß scheinen, dass ich nur noch daran denken kann, was alle schief gehen könnte. Oder wenn ich allein unterwegs bin und es kein Entkommen aus der Einsamkeit gibt, dann drückt das manchmal ganz schön schwer.

Ich erinnere mich an schlaflose Nächte vor der Sierra High Route oder dem Tupungato. An Selbstzweifel und kreisende Gedanken. Dagegen helfen wohl nur entweder hervorragende Vorbereitung, so dass man alle Aspekte voll im Griff hat. Oder anfangen. Die Erfahrung des Tuns hilft gegen die Zweifel, ob man es kann.

Angst kann einschränken. Wenn ich mich auf dem brutal ausgesezten Grat nicht weitertraue, obwohl er gar nicht so schwer ist. Oder ich den schweren Zug über dem letzten Haken mental einfach nicht hinkriege. So etwas ärgert mich, weil ich dann Angst als Einschränkung meiner persönlichen Freiheit empfinde. Ich könnte und wollte doch eigentlich, aber irgendwie geht es nicht.

Für mich ist Bergsteigen „zu 70% Kopfsport“ (wie mal ein sehr erfahrener Bergsteiger zu mir gesagt hat): Was ich kann, hängt mehr vom eigenen Zutrauen und von mentaler Stärke als von körperlicher Stärke und Technik ab. Dieses Verhältnis ist wahrscheinlich für jeden anders, aber die Einschränkung durch Angst erleben sicherlich Viele. Für mich ist das dann auch ein riesiger Ansporn, diese Angst zu überwinden.

Angst ist gut

Angst kann beleben. Nämlich, wenn man sie überwindet. Das nennt man dann Mut. Sicherlich kennt jeder Bergsteiger das großartige Gefühl, wenn man diesen Moment, wo die Angst nicht mehr weiter will, überwindet und weiter geht. Das kann dann sein, dass es einen Ruck braucht, ein wenig Überwindung und auf der anderen Seite davon wartet schon der Flow. So geht es mir oft bei Solo-Bergtouren. Es kann auch sein, dass ich mich mit zitternden Händen zum nächsten Griff taste und irgendwie zum Haken rette. Zu tun, was einem Angst macht, ist nicht immer angenehm. Aber – wenn man es denn tatsächlich drauf hat – meistens lohnend.

An anderer Stelle schrieb ich, dass es ohne Angst kein Abenteuer gibt. Und tatsächlich scheinen mir die ganz großen Erlebnisse beim Bergsteigen und auch sonst im Leben meist mit Angst und mit Mut zu tun zu haben. Egal, ob man eine schwere Route klettert, in eine fremde Stadt zieht, sich auf eine neue Arbeitsstelle bewirbt oder diese eine Frau, diesen einen Mann anspricht, die / den man schon lange toll findet. Durch die Unsicherheit, die Angst vor dem Scheitern, und den Mut, es trotzdem zu wagen, bleiben solche Erlebnisse im Gedächtnis.

Angst kann schützen. Wenn sie vor Gefahren warnt, die rein rational schwer erfassbar sind. Wenn subjektive Faktoren wie Hunger und Erschöpfung und objektive Gefahren wie nachlassende Festigkeit der Schneedecke oder Steinschlag zusammentreffen, ist Angst für mich ein guter Anlass, die Tourenplanung noch mal zu hinterfragen.

Lange habe ich damit gehadert, ein eher ängstlicher Bergsteiger zu sein. Inzwischen habe ich meinen Frieden damit gemacht und bin sogar dankbar dafür. Sicherlich werde ich auch deswegen nie die ganz großen Touren machen; dafür sehe ich meine Angst inzwischen als eine Art Lebensversicherung. Etwas, das mich immer wieder dazu bringt, zu prüfen, ob ich tatsächlich weiß, was ich tue. Ob sowohl subjektive Faktoren wie Können, Konzentration und Kraft passen als auch objektive wie Schneekonsistenz, Felsbeschaffenheit oder Zeit bis zur Dunkelheit.

Auseinandersetzung als Erfolgsfaktor

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Angst ist für mich eine der elementaren  Erfahrungen beim Bergsteigen. Was macht mir Angst und wie viel Gefahr steckt tatsächlich dahinter? Welche Schlüsse sollte ich daraus ziehen?

Um das auch in komplexen Situationen richtig zu beurteilen, braucht es Intuition. Ein Bauchgefühl, dass einem sagt, wann man sich ruhig weiterfürchten kann und wann man es besser gut sein lassen sollte. Diese Intuition wiederum bildet sich nur durch Erfahrung. Durch Versuch und – je nach dem – Erfolg oder Irrtum.

Letztendlich ist es genau dieses Spiel, das das Bergsteigen für mich so faszinierend macht. Die Auseinandersetzung mit natürlichen Gegebenheiten und mehr noch mit meinen eigenen Grenzen, die mir in Form von Angst entgegentreten. Deswegen wäre Bergsteigen ohne Angst nur halb so interessant. Obwohl sie auch irgendwie immer im Weg ist.

Welche Erfahrungen haben meine Leser mit Angst? Oder welche Einstellung dazu? Seht Ihr Angst ähnlich wie ich oder ganz anders? Über Eure Kommentare, Ergänzungen und Entgegnungen würde ich mich sehr freuen.

Kategorien: Berggedanken

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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