In den Bergen wohnt die Freiheit, in den Tälern wohnt der Neid, heißt eine Redewendung. Und die „Freiheit der Berge“ wird oft als Teil der Antwort genannt auf die Frage, warum jemand in die Berge geht. Diese Freiheit kommt aber nicht automatisch mit der Seehöhe – wie findet mand sie also?
Die Freiheit der Berge im Wandel der Zeit
Zumindest in Mitteleuropa geht es den wenigsten Bergfreunden heutzutage um Freiheit vor Verfolgung oder Obrigkeit. Vielleicht genehmigt sich der ein oder andere Kletterer am Gipfel einen Joint, ansonsten ist die Ausübung gesetzeswidriger Handlungen wohl kaum ein Motiv, ins Gebirge zu gehen. Stattdessen geht es mehr um innere, um gefühlte Freiheit. Das war früher durchaus anders, als das unwegsame Gelände im Hochgebirge für Wilderer, Schmuggler und andere mit der Obrigkeit überkreuz Stehende ganz unmittelbarer Freiheitsgarant war.
Noch zu DDR-Zeiten wurden in die Gipfelbücher der Sächsischen Schweiz regime- und gesellschaftskritische Beiträge geschrieben, die die Verfasser im Tal aus Angst vor der Stasi nicht auszusprechen gewagt hätten. Doch mittlerweile, in einem weitgehend freien und geeinten Mitteleuropa, spielen derartige Motive für einen Bergausflug keine Rolle mehr.
Heute bedeutet die „Freiheit der Berge“ vor allem Freiheit von familiären und gesellschaftlichen Zwängen. Von Anweisungen des Chefs, des Vereinsvorstandens oder des Familienoberhauptes sowie von eigenen, fremden oder gesellschaftlichen Erwartungen. In den Bergen muss man niemandem etwas beweisen, keine gute Leistung abliefern oder einem vorgegebenen Rollenbild entsprechen. Stattdessen kann man sich einem selbstgesteckten Ziel auf selbstdefinierte Weise annähern: Wandernd, Kletternd, mit Bohrhaken oder ohne, einhändig, nackt oder wie auch immer.
Auch innere Freiheit muss verteidigt werden
Ähnlich wie beim Abenteuer liegt es vor allem an einem selbst, ob man diese Freiheit findet oder nicht. Und es ist gar nicht immer leicht, den Versuchungen zu widerstehen, die die eigene Freiheit beschneiden. Da ist zum Beispiel der Ehrgeiz: Dieses Jahr 100 Gipfel besteigen oder in diesem Monat 10 000 Höhenmeter – das kann einen schon mal unter Druck setzen. Damit umzugehen ist nicht ganz einfach, denn Ehrgeiz ist ja auch wichtig, um größere Ziele zu erreichen. Wenn er aber bei jeder Tour im Vordergrund steht, wird die Freude am Abenteuer durch die Pflicht eines Trainingsplanes ersetzt.
Eine andere Gefahr ist, mehr für die eigene Außenwirkung bergzusteigen als für innere Befriedigung. Ich beobachte das in zwei Ausprägungen. Da sind zum einen die ein wenig lächerlichen Facebook-Hampler, die sich nach absolviertem Klettersteig oben ohne auf die Hüttenterasse setzen und nachschauen, wie viele Kommentare und Likes ihre aus der Wand geposteten Fotos schon erhalten haben. Diese Menschen sind auf der Suche nach Bewunderung und das kann ganz schön anstrengend sein.
Auf der Suche nach Anerkennung
Der subtilere Fall ist die Suche nach Anerkennung durch andere Bergsteiger – im Gegensatz zur Bewunderung durch Außenstehende. Hier geht es um Zugehörigkeit und Akzeptanz, also etwas, was den meisten Menschen wichtig ist. Auch das kann die Tourenauswahl beeinflussen, denn die meisten Bergsteigergruppen haben inoffizielle Prüfsteine, Touren, die man mal gemacht haben muss, um als „guter Bergsteiger“ durchzugehen. Es kann auch unterwegs für Stress sorgen, wenn man sich zu Hause nicht damit blamieren möchte, am Minigrat der Einfachspitze schon wieder umgedreht zu sein. Ganz verschwindet der soziale Druck also auch unterwegs nicht und manchmal muss man auch in den Bergen jemandem etwas beweisen.
Auch der Autor ist nicht immun dagegen, auch ich freue mich über Anerkennung von Bergsteigern, die ich respektiere. Eine Zeit lang habe sogar darüber nachgedacht, ob ein Bericht zu einer bestimmten Tour im Blog wohl Aufmerksamkeit erregen würde. Mir war es plötzlich wichtig, wie viele Leser hier vorbeischauen. Als mir klar wurde, dass diese Überlegungen meine Tourenauswahl beeinflussten und mich von meinen eigentlichen Interessen ablenkten, habe ich schließlich letztes Jahr sogar überlegt, das Bloggen einzustellen. Zum Glück verlor ich dann aber aus anderen Gründen das Interesse daran, die Zahl meiner Leser zu verfolgen. So kann ich mein Schreibhobby nun weiterhin ausüben, ohne mich dadurch eingeschränkt zu fühlen.
Bergsteigen als Ausdruck von Freiheit
Die Freiheit, die viele Bergfreunde suchen, ist also nicht in den Bergen zu finden, sondern in jedem selbst. Das Berggehen ist nicht Quelle dieser inneren Freiheit, sondern höchstens deren Ausdruck. So wie es in anderen Fällen Ausdruck von Geltungsdrang oder Sehnsucht nach Anerkennung sein kann. Sich diese Freiheit zu erhalten, um sie dann in der selbst gewählten Tour erleben zu können, ist eine wichtige Aufgabe. Wichtig für die Freude am Bergsteigen und nicht immer ganz leicht.
7 Kommentare
Rebecca · 29. April 2016 um 11:14 am
„Minigrat der Einfachspitze“ – genial 😉 Aber mal im Ernst: Ich finde, du hast vollkommen recht. Man sollte sich nicht von einer möglichen Außenwirkung davon „überreden“ lassen, andere Touren zu machen als man eigentlich selbst will. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, wie ich bei der Tourenauswahl überlege, welche Tour in meinem Blog wohl am besten ankommt. Ich denke, dass ich da aber noch eine ganz gute Kontrolle drüber habe.
Eine andere interessante Auswirkung des Bloggens ist mir bei der Wintertour auf die Ruchenköpfe klar geworden: Normalerweise bin ich jemand, der eher schnell aufgibt. Kurz vor der Schlüsselstelle wäre ich auch gerne abgeseilt. Aber der Wunsch, in meinem Gipfelbuch wieder einen Gipfel eintragen zu können, hat mich (neben anderen Gründen) dazu bewegt, die Zähne zusammenzubeißen, die kalten Hände und Füße zu ignorieren und es einfach durchzuziehen. Schlussendlich war ich natürlich sehr froh, die Tour zu Ende gebracht zu haben. Was ich damit sagen will: Solange man es schafft, über solche Dinge reflektiert nachzudenken, kann das Bloggen auch absolut positive Auswirkungen auf die eigene Motivation haben.
Und bitte hör‘ nicht auf zu bloggen – ich lese deine Berichte sehr gerne!
Viele Grüße
Rebecca
Hannes · 30. April 2016 um 10:37 am
Danke erstmal, Rebecca – und keine Sorge, so schnell werde ich die Bloggerei nicht aufgeben.
Ein interessantes Beispiel, von dem Du berichtest. Die Zähne zusammenbeißen zu können und nicht zu schnell aufzugeben, ist natürlich eine sehr gute Eigenschaft, wenn man gleichzeitig in der Lage ist, objektive Gefahren zu erkennen.
Bist Du denn sicher, dass Deine größere Entschlossenheit vor allem durchs Bloggen kommt? Aus eigener Erfahrung könnte ich mir gut vorstellen, dass wachsende Erfahrung, zunehmender Ehrgeiz beim Bergsteigen allgemein und natürlich die Tatsache, dass Du dort schon einmal umgedreht bist, erheblich dazu beigetragen haben.
Auf jeden Fall wünsche ich Dir weiterhin schöne Touren und frohes Bloggen!
Hannes
Rebecca · 7. Mai 2016 um 9:04 am
Na klar, der Ehrgeiz und der grundsätzliche Wunsch nach dem Gipfel bzw. dem Wunsch, die Winterbegehung durchzuziehen, war schon der ausschlaggebende Grund. Aber einen kleinen Beitrag hat doch auch mein Blog gegeben, denke ich 🙂
Holzi · 13. September 2016 um 9:10 am
sehr gut geschrieben und deiner auffassung bin ich auch, toller blog !!! lg und viel spass in den bergen weiterhin !!! 🙂
Hannes · 13. September 2016 um 2:43 pm
Servus Holzi
und danke schön! Dein Blog gefällt mir ebenfalls sehr gut (Wahnsinn, wie viel Du unterwegs bist!) und ich habe mir erlaubt, ihn zu verlinken. Auch Dir weiterhin viele schöne Touren. 🙂
Schöne Grüße
Hannes
Holzi · 14. September 2016 um 5:08 am
servus hannes 🙂
ich hab dich auch verlinkt und freu mi schon über deine berichte !! 😀
lg Holzi
Hannes · 14. September 2016 um 4:37 pm
Super – danke Dir!