Skitour im Karwendel am 05.04.2024

Schon oft habe ich mich gefragt, was das eigentlich für Freaks sind, die im Frühjahr mit Ski am Buckel ewig weit irgendwelche Täler reinfahren, um noch die letzten Schneeflecken auszunutzen. Wenn die ersten Voralpengipfel schneefrei sind, wenn es frühsommerlich warm ist, dann kann man doch herrlich wandern gehen. Warum muss man da auf Skitour?

Freitag, 08:00 Uhr, oberhalb von Scharnitz. Der Schweiß läuft mir ins Gesicht, während ich ins Karwendeltal hochstrampele. Mein Rücken ist bereits jetzt komplett nass. Steil ist das erste Stück, dazu drückt mich der Rucksack mit den angeschnallten Ski ordentlich in den Sattel. Ich fahre bewusst langsam, denn ich weiß, wie lang diese Tour ist. Und lieber verliere ich jetzt ein paar Minuten Zeit als Kraft, die ich noch brauchen werde.

Seit Mitte Februar war ich nicht mehr unterwegs und wollte nun unbedingt noch einmal mit Ski einen etwas höheren Berg besteigen; hatte keine Lust auf Voralpenwandern. Also bin ich heute hier und radle mit schwerem Gepäck ins Karwendel.

Von der Larchetalm aus bewundere ich das immer noch ganz weiße Großkar, dann geht es wieder in den Wald bis zur großen Wildfütterungsstelle. Kurz danach biege ich rechts ab zum Karwendelbach hin. Und beobachte zwei Innsbrucker Studenten dabei, wie sie gerade den Bach überqueren. Aha, denke ich mir, bin ich also nicht der einzige Verrückte, der hier heute unterwegs ist.

Nachdem ich mein Radl verstaut habe, überquere ich ebenfalls den Bach (hier gab es wohl mal eine Brücke) und folge den Fußspuren meiner Vorgänger zum kleinen Steig, der von hier aus ins Neunerkar führt. Herrlich ist bereits hier das Panorama. Nach links der Blick zum Hochalmsattel, nach rechts die Tiefkarspitze mit ihren Nachbarn. Immer wieder schön hier.

Das letzte Mal, als ich hier war, lag der Schnee noch runter bis ins Tal. Heute hingegen stehen noch einige Höhenmeter zu Fuß an. Triathlon quasi: Radeln, Wandern, Skitouren.

Auf etwa 1500 m Höhe reicht die Schneedecke schließlich, um auf die Ski zu steigen. Die beiden Studenten bauen gerade um, als ich dort ankomme. Wir wechseln noch ein paar Worte, bevor sie weitergehen. Ich packe ebenfalls die Ski vom Rucksack und gönne mir einen Müsliriegel. Endlich die schweren Bretter nicht mehr am Buckel! Da macht das Bergsteigerleben doch gleich noch mehr Spaß.

Nach dem Wald folgt die Steilstufe, die ins obere Neunerkar leitet. Das ist die Schlüsselpassage der Tour. Die beiden Studenten haben die mehrere Tage alte Spur schön nachgetreten, was mir die Spitzkehren erheblich erleichtert. Schön. Dafür bin ich dankbar. Und kann mich später revanchieren.

Denn am Beginn des obren Kares hole ich die beiden, die hier Pause machen, ein und übernehme Führung und Spurarbeit. Gigantisch ist die Landschaft hier oben und noch genau so beeindruckend, wie ich sie in Erinnerung habe. Für dieses riesige Kar mit seinen perfekten Skihängen lohnt sich der weite Anmarsch.

Durch das weite Kar mit seinem tollen Hochgebirge-Ambiente steige ich weiter auf. Zunächst geht es recht flach dahin, dann steilt es wieder auf und die Spur zeigt auch ein paar Ecken. Im oberen Bereich weiche ich von der alten Spur ab, um möglichen Schneebrettern unterhalb einer Wechte auszuweichen. Kurz darauf erreiche ich auch schon die Breitgrieskarscharte, die ebenfalls mit großartiger Aussicht glänzt.

Tja, wie nun weiter? Auf der Großen Seekarspitze, dem klassischen Gipfelziel dieser Tour, war ich vor einigen Jahren bereits. Auf ihrer kleinen Schwester hingegen bisher nicht. Also peile ich die Kleine Seekarspitze an. Und entscheide mich dafür, direkt vom Gratbuckel oberhalb der Breitgrieskarscharte zu Fuß hinüberzugehen. Irgendwie habe ich darauf Bock. Anderen Aspiranten würde ich allerdings empfehlen, wenigstens bis zur Seekarscharte mit Ski zu gehen.

Ein paar Spitzkehren lege ich noch zum Grat hinauf, dann stelle ich die Ski ab und gehe also zu Fuß weiter. Zu Beginn mühe ich mich durch ein wenig Tiefschnee bis zur Seekarscharte. Der Blick hinab ins Seekar verspricht ebenfalls Skigenuss. Da ich nicht weiß, ob oder wie man unten ausfahren kann, kommt diese Variante für mich heute allerdings nicht infrage.

Auch die beiden Studenten haben inzwischen die Scharte erreicht und machen dort Pause. Ich umgehe unterdessen zwei Gratbuckel und komme zum abgeblasenen Rücken, der zur Kleinen Seekarspitze hinauf leitet. Mittlerweile bin ich ziemlich platt, auch weil mir der Brennstoff fehlt. Ein Müsliriegel zwischen Parkplatz und Gipfel war einfach ein bisschen wenig.

Nach den letzten Metern erreiche ich kurz vor 13:00 Uhr den Gipfel (Kleine Seekarspitze, 2613 m). Die Aussicht ist irre. Immer wieder bin ich beeindruckt davon, wie abgeschieden ich mich auf den zentralen Karwendelgipfeln fühle. Eigentlich ist es nicht weit bis zur Zivilisation, aber hier oben wähne ich mich jedes Mal ganz weit weg von allem.

Da es hier oben ziemlich windig ist (das verfolgt mich in dieser Skisaison), bleibe ich nicht lange. Im Abstieg suche ich mir ein einigermaßen geschütztes Plätzchen, um endlich meine Brotzeit zu verputzen. Das tut gut.

Frisch gestärkt nehme ich den restlichen Rückweg zu meinen Ski in Angriff. Und dann geht es los. Die ersten südseitigen Meter in die Scharte bremsen noch arg. Doch ins Kar runter künden schon die Spuren meiner beiden Innsbrucker Vorfahrern von Vergnügen. Und so ist es dann auch. Der Schnee ist nicht super, aber doch viel besser als erwartet. Noch einmal Abfahrtsspaß, vielleicht ja zum letzten Mal in diesem Jahr.

Ich hatte oben leichte Bedenken, wie gut die Abfahrt gehen würde, weil ich schon am Gipfel so erschöpft war. Aber heute läuft es einfach und mit weniger Kraftaufwand als bei vielen anderen Touren erreiche ich den Karboden. Auch die Steilpassage lässt sich noch gut fahren und sogar durch den Wald geht es passabel. Noch mal ein super Tag heute!

Einmal ist der Skispaß dann doch zu Ende und ich schnalle die Ski wieder an den Rucksack. Zufrieden wandere ich talwärts, nur gelegentlich mit den Ski an einem Ast hängen bleibend. Schön, dass ich mich heute für diese Tour entschieden habe. Das hatte genau so gepasst, wie erhofft.

Am Radldepot treffe ich ein letztes Mal auf die beiden Innsbrucker, die bereits abfahrbereit sind. Wir wechseln noch ein paar Worte über die Schönheit des Karwendels im Allgemeinen und des Neunerkars im Besonderen, dann fahren die beiden los.

Zehn Minuten später schwinge dann auch ich mich auf mein Aluross. Bei frühsommerlichen Temperaturen und herrlichem Wetter rolle ich talwärts. Ja, der schwere Rucksack mit den Ski drückt auf die Schultern. Aber jetzt ist das egal. Zwei E-Biker, die mir entgegenkommen, sehen mich erstaunt an. Ob sie sich auch fragen, was das für Freaks sind, die im Frühjahr mit Ski am Buckel ewig weit irgendwelche Täler reinfahren?

Kurz vor vier bin ich wieder am Parkplatz, rundum zufrieden mit diesem herrlichen Bergtag. Es war eine sehr anstrengende Tour, aber vor allem eine wunderschöne.

Daten zur Tour

  • Kleine Seekarspitze (2613 m) durchs Neunerkar
  • 1850 Höhenmeter
  • SKT-Schwierigkeit AD

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

4 Kommentare

Mark · 11. April 2024 um 7:41 pm

Servus Hannes,
schöne Tour und Respekt für die Mühen. Ehrlich gesagt war ich bislang zu faul für Skitouren im Inneren des Karwendels. Die Zentralalpen vor der Haustür fördern eine derartige Art der Faulheit natürlich.

Die Kleine Seekarspitze ist übrigens nicht ganz so klein. 😉

    Hannes · 12. April 2024 um 10:20 am

    Servus Mark,
    tatsächlich war die kürzere Auto-Anfahrt auch ein Argument für mich, diese Tour zu gehen. Wohnte ich im Inntal, hätte ich sie vielleicht auch nicht gemacht.

    Und danke für den Hinweis – ich habe mal 1000m draufgeschlagen.

Rebecca · 14. April 2024 um 8:18 am

Super, Glückwunsch zu so einer schönen (langen) Tour! Es ist doch immer wieder cool, vom Winter in den Frühling abzufahren oder zu -steigen, ich mag das Gefühl sehr. Aktuell bin ich allerdings schon froh, dass ich heute (hoffentlich) die Energie für den Geierstein (1491m) habe 😉

LG Rebecca

P.S.: Auf deine Mail antworte ich noch!

    Hannes · 14. April 2024 um 6:24 pm

    Danke Rebecca! Mir geht es ähnlich – diese kontrastreichen Frühjahrstouren sind etwas Besonderes.

    Dann viel Freude am Geierstein – den ich im Frühling auch sehr mag.

    Liebe Grüße, Hannes

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