Als Hobby-Bergsteiger mit wenig bergaffinem Umfeld hat man es manchmal schwer: Muss das denn sein? Das ist doch so gefährlich. Pass bloß auf, sonst kommst Du irgendwann nicht mehr zurück. Berge sind ja schön, aber müssen sie so hoch sein? Die Kehrseite dieser Medaille ist seltsam fehlgeleitete Bewunderung für die angeblich heroische Besteigung des Vorderen Kleinalmgupfes. Ich mag beide Reaktionen nicht besonders, interessant ist die gesteigerte Wahrnehmung von Risiko beim Bergsteigen aber allemal.
Der Reiz der Gefahr
Wie ist es also mit dem Bergsteigen – nur mit Risikolebensversicherung für die Liebsten ratsam oder eigentlich ganz harmlos? Und warum wirkt es auf manche Nicht-Bergsteiger wie das ständige Spiel mit dem Tod?
Über Extrembergsteiger hat Reinhold Messer einmal gesagt, dass sie dorthin gingen, wo sie umkommen könnten, um dann dort nicht umzukommen. Ziel ist also das Bestehen einer lebensbedrohlichen Situation durch Urteilsvermögen und Können. So viel zu den Extremen, was aber ist mit uns ambitionierten Normalbergsteigern? Also denen, die markierte oder versicherte Anstiege verlassen und sich anhaltend in Absturzgelände bewegen. Vom Schrofengelände bis zur VII-Kletterei ist es natürlich ein weites Feld, aber im Extremfall kann man dort überall zu Tode stürzen.
Ich kenne unter meinen berggängigen Freunden und Bekannten nun niemanden, der gezielt das Risiko sucht. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die latente Lebensgefahr beim selbständigen Bergsteigen eher würzende Zutat oder ungewolltes Übel ist. Nun kann ich hier nur für mich sprechen, und da ist die Antwort ein ganz klares „es kommt darauf an“. Und zwar darauf, ob ich die potenziell gefährliche Situation beherrsche (Würze) oder nicht (Übel).
Auf die Beherrschung der Situation kommt es an
Zum Glück nur bei wenigen Touren hatte ich hinterher den Eindruck „Glück gehabt, denn das hätte ins Auge gehen können“. Dieser Eindruck hinterließ jedes Mal ein schlechtes, drückendes Gefühl, dass mir auch noch Jahre später die Freude an der Tour verleidet. Der Grund für dieses Gefühl ist, dass ich die Situation eben nicht völlig beherrschte, sondern es einfach gut gegangen ist. Das kann daran liegen, dass ich an einer Kletterstelle unsicher war oder mir ein Skihang nicht 100% sicher vorkam. Es ist dann letztendlich nichts passiert, aber nicht dank persönlichem Können, sondern einfach so. Übel!
Wenn ich mich dagegen in ausgesetztem Gelände in leichter Kletterei bewege, den Schwierigkeiten deutlich überlegen, meine Angst und die Situation im Griff, dann ist das ein herrliches Gefühl. Auch hier kann ein Schritt zur Seite zum Absturz führen, aber ein solcher Schritt passiert ganz einfach nicht. Es fällt ja auch in der Stadt niemand einfach so vom Gehsteig. Stattdessen erhöht das Wissen um den nahen Abgrund die Konzentration und lässt mich voll in der Bewegung aufgehen. So hilft die Präsenz der Gefahr dabei, in einen Flow zu kommen. Außerdem erleichtert sie die Entscheidung zur Umkehr, wenn die Schwierigkeiten doch zu groß werden. Auch im Nachhinein – sicherlich ein Wohlstandsphänomen – ist es für mich befriedigend zu wissen, eine latent gefährliche Situation durch Umsicht und Können in einen akzeptablen Risikobereich gebracht zu haben.
Risiko beim Bergsteigen
Dass das Risiko null wird, eine Situation völlig beherrschbar, ist natürlich nicht erreichbar – hier sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Aber der Tod lauert auch unter Infektionskrankheiten, beim Heimwerken und andernorts. Der Reiz der alpinen Gefahr ist vielleicht, dass sie offensichtlich und gut einschätzbar ist, da normalerweise kaum Handlungen unbekannter Dritter eine Rolle spielen (anders als z.B. im Straßenverkehr).
Nun ist ein Schlüssel zum befriedigenden Bergerlebnis, das Risiko durch Situationsbeurteilung und Können in einen Bereich zu bringen, mit dem man sich wohl fühlt. Was genau das heißt, ist natürlich für jeden Bergsteiger anders. Da aber die Mehrzahl der Freizeitbergsteiger recht alt wird und nicht in jungen Jahren zu Tode stürzt, kann das typische Risikoverhalten nicht allzu draufgängerisch sein. Auch Unfallstatistiken zeigen, dass das Risiko beim Bergsteigen mit vielen Alltagstätigkeiten und Breitensportarten vergleichbar ist. Warum dann diese öffentliche Wahrnehmung des Bergsteigens als todesverachtende Heldentat?
Die Inszenierung der Gefahr
Das hat vermutlich zwei Gründe. Erstens ist das Risikomanagement beim Bergsteigen für Nicht-Bergsteiger schwer nachvollziehbar. Die Bewegungen, die Beurteilung von Felsqualität, Sicherungspunkten etc. sind weit entfernt vom Alltag. Wer es nie selbst erlebt hat, kann sich wahrscheinlich kaum vorstellen, wie steiles Felsgelände oder schmale Firngrate mit einem hohen Maß an Sicherheit begangen werden können.
Zweitens inszenieren die Profis des Gewerbes natürlich auch die Gefahr, denn diese sorgt in unserer durchversicherten Gesellschaft für Aufmerksamkeit. Extremes Bergsteigen wird im Fernsehen und in Zeitschriften nicht nur als Sport, sondern auch als heroisches Unterfangen präsentiert. Früher erlegten Helden Drachen, heute besteigen sie Berge (oder üben andere Extremsportarten aus) und setzen dabei ihr Leben aufs Spiel. Es ist wenig überraschend, dass dem unbedarften Beobachter zum einen der Unterschied zwischen Inszenierung und Wirklichkeit (denn nicht jede Hochglanzbesteigung ist so gefährlich, wie sie aussieht) nicht immer klar ist; und zum zweiten der zwischen extremem und normalem Bergsteigen genau so wenig.
Das ganze Leben ist gefährlich
Auch Normalbergsteiger beteiligen sich ein Stück weit an der Inszenierung der Gefahr. Sei es durch eine leicht zugespitzte Erzählung nach dem dritten Bier oder durch ausgewählt spektakuläre Fotos im Internet. Wer erfährt nicht gerne die Aufmerksamkeit und vielleicht sogar Bewunderung seiner Mitmenschen?
So müssen ich und sicher auch viele andere Hobbybergsteiger immer wieder mit den seltsamen Reaktionen ihrer Verwandten und Bekannten leben. Es bleibt uns nur, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Bergsteigen, wie wir es betreiben, durchaus gefährlich ist – genauso wie Auto fahren, auf Leitern steigen oder Holz hacken. Das Risiko beim (nicht-extremen) Bergsteigen ist eben auch nicht viel höher als beim Leben im Allgemeinen.
8 Kommentare
Joel Lima · 8. November 2017 um 2:01 pm
Sehr interessanter Beitrag!
Ich bin leidenschaftlicher Wanderer und habe mir seit kurzem überlegt mit dem Bergsteigen zu beginnen. Ein großer Faktor warum ich damit anfangen möchte ist tatsächlich die gewisse Gefahr die dabei besteht abzustürzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es dem Wandern etwas mehr Leben verleitet. Aber wie oben schon gesagt wurde ist es bestimmt nur sehr reizvoll, wenn man die Situation auch unter Kontrolle hat.
Ein anderer Faktor warum ich Bergsteigen möchte ist natürlich die großartigen Aussichten die man nach dem besteigen bestimmter Berge genießen kann.
Ich bin mich schon täglich am informieren und kann es schon kaum abwarten mit dem Bergsteigen zu starten. Durch das Wandern habe ich schon vieles an Ausrüstung die ich grade auch zum Bergsteigen nutzen kann. Ich habe mir auch schon einen Klean Kanteen Becher zugelegt und überlege mir auch schon was ich mir als nächstes kaufen könnte 😀
Viele Grüße
Hannes · 11. November 2017 um 8:02 am
Na dann Berg heil, Joel! Ich hoffe, sich in gefährliche Situationen zu begeben, ist nicht Dein eigentliches Ziel. Denn wenn Du die Gefahr suchst, findest Du sie wahrscheinlich auch. Und zumindest mein Ziel ist es, Gefahren beim Bergsteigen zu minimieren – durch Können, Planung und überlegtes Handeln.
Ich kann Dir daher nur raten, es langsam angehen zu lassen, die Schwierigkeiten nicht zu schnell zu steigern und auf die eigene Angst zu hören, die oft ein guter Ratgeber ist.
Donaujo · 14. November 2017 um 7:27 pm
Gefahren gibt es sogar beim
Blogschreiben! Vor allem bei so lange Einträgen: Sehnenscheidenentzündung -Unfähigkeit, Nahrung zum Munde zu führen – Schwächeanfall – Atemstillstand – Tod!
Hannes · 15. November 2017 um 7:17 am
Eine oft unterschätzte Gefahr. Und stell Dir erst vor, ich dürfte gar nicht mehr schreiben. Und dass als Rheinländer, der sein Redebedürfnis ins Schreiben projiziert hat. Lebens – bedroh – lich!
Dani · 20. Februar 2018 um 4:01 pm
Sehr schöner Artikel!
Musste einige Male sehr schmunzeln. 😉
Lg
Dani
Hannes · 20. Februar 2018 um 8:46 pm
Danke Dani,
freut mich, dass Dir der Artikel gefällt.
Schöne Grüße
Hannes
Iris · 30. April 2024 um 6:36 am
Hallo lieber Hannes,
vielen Dank für deinen tollen Bericht, das hat mir ein wenig die Augen geöffnet für diesen spannenden Sport, der mich schon immer sehr beeindruckt hat.
Ich habe kürzlich eine Dokumentation über Marc André Leclerc gesehen.
Hast du auch von ihm schon mal gehört oder gelesen?
Mich hat die Geschichte von dem Freikletterer und Alpinisten sehr bewegt und habe mich gefragt, was er empfunden haben mag während seiner Besteigungen.
Mich würde sehr interessieren, wie du das siehst, warum jemand ohne jede Sicherung klettert, und das auf richtig hohe Berge und nicht nur mal so, – du weisst, was ich meine.
Ich denke, dass Menschen, die wie Leclerc klettern, über viele Stunden einen extrem hohen Bewusstseinszustand aufrecht erhalten müssen, da man keinen Bruchteil einer Sekunde unaufmerksam sein darf. Und das dieses vielleicht einen starken nachhaltigen Einfluss auf die Psyche hat und der Mensch sich dadurch dem eigentlichen Leben mehr öffnet.
Klingt das jetzt komisch in deinen Ohren? Ich hoffe nicht.
Wie siehst du das – das würde mich sehr interessieren…
Ich selbst lebe im Flachland, hatte nie etwas mit Bergsteigen zu tun und kenne auch keine Bergsteiger persönlich. Aber die Berge selbst haben mich schon immer fasziniert und genauso die Menschen, die sie besteigen.
Herzliche Grüße
Iris
Hannes · 3. Mai 2024 um 7:17 am
Hallo Iris,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Marc-André Leclerc ist eine Persönlichkeit, die auch ich sehr faszinierend finde und die selbst unter Kletterprofis einzigartig ist. Das ist vom Bergsteigen, wie ich es betreibe, so weit weg wie ein Rolls Royce von einem Bobbycar.
Ich vermute, dass Du recht damit hast, dass die extreme Fokussierung beim free solo-Klettern für auch über das Klettern hinaus das Bewusstsein verändert.
Ich finde es auch selbst leichter, beim ungesicherten Klettern in sehr leichtem Gelände in einen Flow-Zustand zu kommen als bei anspruchsvollerer Kletterei mit Sicherungen. Wahrscheinlich, weil ich nicht zusätzlich über Sicherungsaspekte nachdenken muss, mich vollauf die Bewegung konzentrieren kann und weil ich den Schwierigkeiten überlegen bin (sonst würde ich es ja nicht ohne Sicherung machen). Dieser Zustand ist dann unheimlich schön. Vielleicht ist es bei den Extremen ähnlich, nur eben auf einem ganz anderen Niveau.
Dazu kommt auch die Intensität des alleine seins, das auf besondere Art befriedigend sein kann (eventuell schreibe ich darüber auch mal einen Artikel).
Soweit meine Gedanken dazu. Liebe Grüße ins Flachland
Hannes