In den vergangenen beiden Jahren war so oft wie selten zuvor von der Gefahr durch Eisschlag und Felsstürze die Rede. Für den Herbst 2023 gab es sogar Warnungen, das Hochgebirge aufgrund der hohen Gefahren zu meiden. Was ist da dran und wie sehr ist der menschengemachte Klimawandel Ursache für die Gefahr?

Berge sind nicht stabil

An allen Bergen nagt die Erosion, die zusammen mit der Schwerkraft dafür sorgt, dass Berge Stück um Stück abgetragen werden. Die deutschen Mittelgebirge zwischen Eifel und Erzgebirge waren vor 250 Millionen Jahren ebenfalls ein Hochgebirge mit etwa 5000m hohen Gipfeln. Davon ist mittlerweile nicht mehr allzu viel übrig. Dass Berge abgetragen werden, liegt also in ihrer Natur. Und das geht nicht immer sanft vor sich.

Neben der Erosion (hauptsächlich durch in den Berg eindringendes Wasser und Eis) tragen auch die geologischen Kräfte, die die Alpen aufgebaut haben, teilweise zu ihrer Abtragung bei. Nach wie vor findet in den Alpen eine geringfügige Nord-Süd-Stauchung von 5cm pro Jahr und damit verbunden auch eine Hebung statt. Wenn nun Gesteinsmassen von Bergen nicht fest miteinander verbunden sind, können sie auch durch solche Kräfte instabil werden.

Dass Berge instabil werden und auseinander fallen können, sehen wir zum Beispiel am Hochvogel in den Allgäuer Alpen. Direkt neben dem Gipfel zieht dort eine über 2m breite und geschätzt 100m tiefe Spalte durch den Berg. Und es nur eine Frage der Zeit, bis es dort wieder zu einem großen Felssturz kommt.

Wie sehr Berge zum Zerfallen neigen, hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von Geologie und Reliefform. Bei der Reliefform ist der Zusammenhang einfach: Je steiler eine Bergflanke, desto leichter fällt etwas herunter. Und in den Alpen gibt es dank der Überformung durch die eiszeitlichen Gletscher sehr viele steile Flanken und Wände, die mit Steinen werfen oder gleich ganz zusammenbrechen können.

Bei der Geologie ist die Sache komplizierter. Teils neigen einzelne Gesteinskörper dazu auseinanderzufallen. So ist zum Beispiel der Bergeller Granit (bzw. genauer: Granodiorit) aus sehr schnell aufsteigendem Magma hervorgegangen. Das schnelle Aufsteigen führte zu einem ebenso schnellen Abkühlen. Dabei hat das Gestein an Volumen verloren und Klüfte gebildet, die heute als Schwachstellen vorhanden sind und zum Bergsturz von Bondo beigetragen haben.

In anderen Fällen ist die Abfolge der Gesteinsschichten problematisch, so zum Beispiel beim Bündner Bergdorf Brienz. Dort ist das Schiefergestein der Flyschschicht unter Druck und Spannung gebrochen und bildet eine Art Kugellager für die darüber liegenden Gesteine. Dringt nun Wasser in den Berg ein, wird diese Schicht zu einer Art Rutschbahn für den ganzen Berghang.

Es gibt also viele Faktoren, die dazu beitragen, ob ein Berg zu größeren Fels- oder Bergstürzen neigt oder nicht. Aber was ist nun mit dem Klimawandel?

Permafrost – Kleber und Schutzschicht

Tatsächlich beschleunigt der Klimawandel die Zersetzungsprozesse gleich durch mehrere Effekte: Gletscherrückgang, Verlust von Permafrost, Häufung von Extremwetterereignissen.

Der Gletscherschwund in den Alpen verändert die Statik der Berge. An vielen Hängen wirkt Gletschereis wie eine Stütze, die horizontale Bewegungen durch Druck von innen aufhält. Schmelzen die Gletscher, fällt diese stabilisierende Wirkung weg.

Für die Stabilität höherer Berger sehr wichtig ist Permafrost, der unter einer oberflächlichen saisonalen Auftauschicht von wenigen Metern Bergflanken stabilisiert. Bis zu achtzig Meter mächtig kann die dauerhaft gefrorene Zone sein, die eine doppelt stabilisierende Wirkung hat. Erstens wirkt der Permafrost wie ein Klebstoff, der Gesteinsbrocken zusammenhält, die sonst nur lose aufeinander gestapelt wären.

Zweitens schützt der Permafrost bestehende Klüfte vor Wasser. Dringt nämlich Wasser ein, kann es dort zu wiederkehrendem Gefrieren und Auftauen kommen, was eine sehr effektive Form der Verwitterung darstellt („Frostsprengung“). Durch den Rückzug des Permafrosts in höhere Lagen wird die Zersetzung der Berge beschleunigt und die Häufigkeit großer Fels- und Bergstürze nimmt zu. Ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel verschiedener Faktoren zu einem Bergsturz ist der Zusammenbruch des Fluchthorn-Südgipfels.

Der dritte Effekt des Klimawandels ist die Häufung von Extremwetterereignissen. Regen in großen Höhen kann Gestein destabilisieren (siehe oben); Starkregen auch größere Felsen mitreißen und weiter unten zur Murgängen führen; lang anhaltende Hitzephasen führen zum Rückgang von Permafrost auch in großen Höhen. Letzteres wird durch die Steinschlaggefahr am Normalweg zum Mont Blanc eindrucksvoll vorgeführt.

Auch Gletscher bröckeln

Auch der Eisschlag an Gletschern kann in den nächsten Jahren zunehmen, bevor sich dieses Problem durch das Verschwinden der Gletscher dann im Laufe der nächsten Jahrzehnte erledigt.

Dass das Fließen von Eis gelegentlich abrupt erfolgt und größere Eismengen über Geländekanten stürzen, ist durchaus normal. Doch auch hier führt der Klimawandel zu einer Häufung der Ereignisse. Durch starke Schmelzraten fließt viel Wasser auf der Unterseite des Gletschers und verschlechtert damit die Haftung zum Fels. In der Folge können auch größere Eispakete plötzlich abrutschen (siehe das Marmolada-Unglück 2022).

In flachem Gelände können eine hohe Schmelzrate zusammen mit ausbleibendem Nachfließen vom frischem Eis zu einem Zusammenbruch der Gletscherzunge führen. Hier kommt es mangels Steilgelände nicht zu Eisschlag, dafür können Teile des Gletschers plötzlich einbrechen.

Steigende Gefahren verlangen ein erhöhtes Risikobewusstsein

Was also tun angesichts der erhöhten Gefahren durch Stein- und Eisschlag sowie Fels- und Bergstürze? Zunächst einmal sollten sich Bergfreunde der Gefahren bewusst werden und zum Beispiel Wegsperren (wie am Hochnissl) ernst nehmen. Und dann gibt es durchaus Strategien, um das persönliche Risiko zu verringern.

Eine wichtige Information für die Risikovermeidung ist, wo die erhöhte Gefahr durch Permafrost-Verlust und Gletscherrückgang überhaupt eine Rolle spielt. Für Gletscher ist das recht einfach: Wo sich in den Alpen Gletscher befinden, dort schwinden sie auch. Und zumindest im Sommer sind die landschaftlichen Merkmale von Vergletscherung, die erst vor Kurzem verschwunden ist, leicht zu erkennen.

Permafrost hingegen sieht man nicht. Als Faustregel muss man an Nordhängen ab ca. 2500m Höhe und an Südhängen ab ca. 3000m Höhe mit Permafrost rechnen. Das bedeutet, dass nicht nur die hohen Gipfel der Zentralalpen mit Permafrost durchsetzt sind, sondern auch die höheren Lagen in den Nördlichen Kalkalpen.

Für die Schweiz gibt es eine Permafrostkarte, für die anderen Alpenländer gibt es leider nichts Vergleichbares. Für Bayern gibt es eine Übersicht aller „Georisiko-Punktobjekte“ sowie Anbruchbereiche (beides mit Textbeschreibung bei Klick). Einfacher als die Selbstauskunft mit diesen Werkzeugen ist die klassische Google-Suche, z.B. nach „Nächstwochenendspitze Felssturz“. Diese wird dann zumindest bekannte Gefahrenbereiche zu Tage fördern.

Zu beachten ist, dass sich die Gefahrenbereiche durch Bergstürze – und erst recht durch Murengänge – weit talwärts erstrecken können. Die Toten bei beim Bergsturz von Bondo 2017 waren keineswegs am Piz Cengalo selbst unterwegs, sondern auf Wanderwegen im Val Bondasca. Man sollte daher Wegsperrungen beachten, selbst wenn der Abstand zur Gefahrenquelle sehr groß erscheint.

Neben der räumlichen ist auch eine zeitliche Vermeidung zumindest eingeschränkt möglich. Die Gefahr von Stein- und Eisschlag sowie kleineren Felsstürzen nimmt mit der Temperatur zu, denn für solche Ereignisse kann oberflächliches Auftauen unmittelbarer Auslöser sein. Diese Gefahren kann man also vermeiden, indem man in den gefährdeten Bereichen nur unterwegs ist, wenn es kalt ist und auch vorher bereits längere Zeit kalt war.

Diese Taktik wird für kombinierte Nordwände schon länger angewandt. Künftig wird sich die Hochtourensaison wohl generell weiter in den Frühsommer und ins Frühjahr verschieben, weil später die Steinschlaggefahr zu groß wird und außerdem auch flache Gletscher sehr schwer passierbar werden können.

Größere Felsstürze und Bergstürze zeigen keine jahreszeitliche Häufung. Sie entwickeln sich langsam und werden durch den Permafrostverlust zwar beschleunigt, aber nicht unmittelbar ausgelöst. Für einige Berge ist die Gefahr bekannt, für viele hingegen nicht. Hier bleibt nur eine großräumige Vermeidung von Permafrostbereichen oder die Hoffnung, dass man nicht genau im falschen Moment am falschen Ort sein wird.

In den nächsten Jahren und wenigen Jahrzehnten werden die objektiven Gefahren beim Bergsteigen in den Alpen zunehmen. Damit müssen wir uns abfinden. Wir können durch Vermeidung bestimmter Berge sowie der richtigen Wahl des Zeitpunktes einer Tour unser persönliches Risiko verringern, das verbleibende Restrisiko wird allerdings größer bleiben, als es in den letzten Jahren war. Ob es noch akzeptabel ist, muss Jeder für sich selbst entscheiden. Ich werde sicherlich auch weiterhin auf Berge steigen, mich aber noch eingehender als in der Vergangenheit über Verhältnisse und Gefahren informieren.

Für Alle, die sich über alpine Belange hinaus dafür interessieren, wie die aktuelle Situation beim Klimawandel ist, habe ich eine Übersicht geschrieben.

Quellen: Wikipedia, Zeit Online, Lacrux, Deutscher Alpenverein


Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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