Hüttenwanderung im Tessin vom 08.-11.07. 2012
Bei meiner Tessin-Wanderung vor 2 Jahren hatte ich Jürgen kennengelernt. Wir hatten uns gut verstanden und beschlossen, diesen schönen Teil der Alpen erneut gemeinsam zu besuchen. Vergangene Woche war es nun soweit und wir starteten eine Runde um die nördliche und westliche Begrenzung des Verzasca-Tales.
Erster Tag: Sonogno – Capanna Cógnora
Erst viertel nach fünf trafen wir nach langer Anfahrt in Sonogno (925) ein. Wir gönnten uns noch einen Cappuccino, packten unsere Sachen und kurz vor sechs ging es dann los – zunächst ins Val Vegorness hinein, nach einer knappen halben Stunde dann steil rechts hinauf zur Capanna Cógnora (1938m), die dann kurz vor acht etwas überraschend vor uns auftauchte. Außer uns waren nur noch zwei Deutschschweizer auf der Hütte, die vom Rifugio Sponda herübergekommen waren um nun die Via Alta della Verzasca von Nord nach Süd zu begehen. Wir hatten uns die die T6-Variante der letzten Etappe vorgenommen. Zwei Jahre zuvor war ich vom Rifugio Barone kommend umgekehrt und den normalen Weg gegangen; dieses Mal sollte die Gratbegehung gelingen!
Zweiter Tag: Capanna Cógnora – Rifugio Barone
Morgens erwartete uns strahlend blauer Himmel und kaum Wolken. Viertel vor acht brachen wir auf und wanderten erwartungsvoll zum Passo die Piatto (2111m). Das erste Stück der T6-Variante, die von hier aus zum Pizzo dei Laghetti führt, sieht eher abschreckend aus; immerhin wiesen uns hellblaue Punkte den Weg. Die ersten Wiesen- und Schrofenstufen waren schnell bewältigt, doch dann kam die erste echte Kletterstelle: Steil, ausgesetzt, der Fels nass, die Flechten schmierig. Wir hatten beide kein gutes Gefühl, doch wollte auch keiner von uns einfach so aufgeben. Wir sahen uns die Stelle an, den Fels, überlegten, warteten auf Abtrocknung und entschieden uns letztlich doch dagegen, hier ungesichert weiterzugehen. Das Risiko schien uns trotz der beherrschbaren Kletterschwierigkeit einfach zu groß.
Nach einer längeren Pause gingen wir dann also den Hangweg zum Rifugio Barone (2172m), immer wieder innehaltend und die Aussicht genießend, welche durch aufziehende Wolken allerdings langsam getrübt wurde. Vor zwei Jahren war dieser Weg wegen zweier Erdrutsche gesperrt gewesen, inzwischen ist er wieder geöffnet. Die beiden Stellen sind zwar noch ein wenig heikel, innerhalb der Schwierigkeit des Weges (T4) aber gut zu gehen.
Bereits um 14:00 Uhr erreichten wir die Hütte, deren einzige Gäste wir waren, tranken ein Bier, dösten auf der Bank und verbummelten den Nachmittag. Erst nach dem Abendessen machten wir uns noch zum Lago Barone auf, um die Abendstimmung zu genießen.
Dritter Tag: Rifugio Barone – Rifugio Tomeo
Nachdem es früh morgens noch geregnet hatte, erwartete uns beim Aufstehen auch heute wieder ein herrlich blauer Himmel. Halb neun starteten wir zu dieser Etappe, die uns etwas abseits der markierten Wege führen sollte. Zunächst ging es noch auf dem markierten Weg talwärts, dann auf einem Älplersteig hinauf zur einsamen, eindrucksvollen Alpe di Porchiér. Durch eine enge Schlucht kann man von hier aus die Bochetta di Larecc erreichen, die einen Übergang ins Val di Prato vermittelt.
Unterhalb der Schlucht ging es zunächst über ein steiles Geröllfeld hinauf, etwas weiter oben über eine mit Altschnee gefüllte Rinne. Während wir hier aufstiegen, brach Jürgen plötzlich durch die Schneedecke und verschwand zwischen den Felsen darunter. Natürlich bekamen wir beide einen Riesenschreck. Umso erleichterter waren wir, dass ihm bei diesem 2m-Sturz nichts passiert war und wir unseren Aufstieg fortsetzen konnten, nachdem Jürgen sich wieder aus dem Loch herausgearbeitet hatte.
Die Schlucht selbst war dann mit losem Geröll gefüllt, was vorsichtiges Klettern erforderte. Gegen elf erreichten wir schließlich die Bocchetta di Larecc (2502m). Bei einer Pause überlegten wir kurz, das wuchtige Massiv der Corona di Redòrta zu umgehen und direkt zur Via Alta Vallemaggia zu queren, entschieden uns dann aber doch für den „direkten“ Weg über den Gipfel.
Die Nordwand der Corona die Redòrta kann nur Freunden gepflegter Bruchkletterei empfohlen werden. Zunächst erwarten den Aspiranten steile, nicht immer feste Blockhalden und Geröllhalden, dann folgt stark verwitterter Fels. Die Kletterei ist nicht schwer (II) und auch nur stellenweise etwas ausgesetzt. Die Brüchigkeit – hier muss man wirklich jeden Griff prüfen, selbst wenn er noch so massiv wirkt – schränkt die Kletterfreude jedoch erheblich ein und sorgte bei uns für eine gewisse Anspannung. Inzwischen zog es auch wieder zu und Jürgen bemerkte, dass wir mit ein wenig Glück die gleiche gute Gipfelaussicht genießen könnten wir vor zwei Jahren am Campo Tencia.
Ganz so schlimm wurde es diess Mal allerdings nicht und wir hatten immerhin einen schönen Blick nach Westen auf Basòdino und Umgebung, als wir kurz vor halb eins den Gipfel (2804m) erreichten. Die Corona di Redòrta scheint nicht allzu oft bestiegen zu werden, das Gipfelbuch hatte seinen letzten Eintrag im Oktober 2011. Nach wohlverdienter Gipfelrast machten wir uns an den Abstieg über den Westgrat. Dieser ist etwas einfacher zu klettern und bietet meist zuverlässigen Fels. Während Jürgen die IIIer-Stelle in recht spezieller Technik direkt nahm, bevorzugte ich die einfache Umgehung in der Südflanke. Nach Erreichen der ersten Scharte ist noch ein Gratturm zu überwinden, dann flacht der Grat ab und führt einfach zum markierten Weg.
Kurz nach Erreichen der Via Alta fing es leicht an zu regnen, was nun aber nicht weiter störte. Kurz vor Erreichen der Bassa di Pertüs (2156m) klarte es wieder auf, anschließend ging es in der Nachmittagssonne zum Rifugio Tomeo (1739m), das wir halb sechs erreichten und in dem sich bereits zwei Tessiner und zwei Deutschschweizer eingerichtet hatten. Die mit Abstand kleinste Hütte war also die vollste.
Vierter Tag: Rifugio Tomeo – Broglio
Für den vierten Tag hatten wir uns vorgenommen, über den Monte Zucchero wieder auf die Verzasca-Seite zu wechseln. Allerdings hatten sich bei Abstieg von der Bassa di Pertüs Jürgens Schuhsohlen zu lösen begonnen. Eine davon hing nur noch im Ballenbereich am Schuh und somit blieb nur noch der Abstieg.
Angesichts der Kürze des Weges machten wir uns erst halb zehn an den Abstieg. Die Wiesen waren nass von starkem nächtlichen Regen, trotzdem kamen wir gut voran und erreichten viertel vor elf Broglio (703m). Hier nun endete unsere Wanderung – etwas früher als geplant, aber gerade beim Bergsteigen kann nun einmal nicht alles klappen. Es bleiben die Eindrücke von vier schönen Tagen und einem abenteuerlichen Gipfel.
Fakten zur Tour
- Corona di Redòrta (2804m), Nordwand
- Schwierigkeit T6, II,
- 900 Hm ab Capanna Barone
- Abstieg über Westgrat (1 Stelle III+, sonst bis II)
- Erstbegehung 14.08.1903 durch L.Lisibach & Chr. Pfister
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