Hochtour in den chilenischen Anden vom 28.12.2015 – 06.01.2016
Tupungato – nach meinem gescheiterten Solo-Versuch vor zwei Jahren wollte ich es noch einmal versuchen, dieses Mal zusammen mit Franzi und Mark, die sich ebenfalls für diesen ebenso eindrucksvollen wie abgelegenen Berg begeistern konnten.
Nach unserem weitgehenden Erfolg am Cuerno Blanco war das Selbstvertrauen eigentlich gut, trotzdem war ich an unserem Ruhetag in San José del Maipo nicht entspannt. Stattdessen fühlte ich mich bedrückt von der Größe der bevorstehenden Tour und der Tatsache, dass ich hier nicht noch einmal scheitern wollte. Unruhig war ich und nervös. Es wurde Zeit, das große Vorhaben endlich zu beginnen.
28.12.: Endlich geht es los! Um zehn treffen wir uns mit Raúl bei den Carabineros und erledigen die Formalitäten. Dann fahren wir hinein ins Tal des Río Colorado bis zum Beginn unserer Wanderung bei Chacayar.
Eigentlich sollte es mittags losgehen, aber Marcelino, unser arriero ist zu spät. Eine Dreiviertelstunde später reitet er dann die Straße zu uns herauf: Eines seiner Maultiere hatte sich verletzt und musste durch ein anderes ersetzt werden, daher die Verspätung. Nun kann es also losgehen. Wir wandern zu dritt los und überlassen es Marcelino und Raúl, der dieses Mal auch selbst mitkommt, unser Gepäck auf die Maultiere zu laden.
Den Weg bis Baños Azules kenne ich ja schon vom letzten Mal. Wieder gibt es einiges an Blumen und Vögeln zu sehen und auch ein paar Eidechsen zeigen sich. Es tut gut, endlich unterwegs zu sein und schnell fällt der Druck von mir ab. Nun freue ich mich endlich richtig auf die Tour.
Wir sind heute deutlich früher am Ziel als vor zwei Jahren, so dass wir auch Zeit haben, uns die flachen Wasserbecken anzusehen, die dem Ort seinen Namen geben. Diese bestehen aus einem Mineral, dass im Wasser gelöst ist und sich entlang des Wasserlaufes absetzt. Schön, was die Natur hier geschaffen hat.
Abends gibt es noch einen kleinen Zwischenfall: Das gesunde Maultier hat Sehnsucht nach seinem verletzten Partner – die beiden waren wohl ein eingespieltes Team – und büxt aus um sich auf den Heimweg zu machen. Während sich Marcelino auf seinem Pferd zur Verfolgung aufmacht, wiehert das nun allein gelassene Ersatz-Maultier ganz erbärmlich. Erst nach einer Stunde sind alle Vierbeiner wieder vereint und es kehrt Ruhe ein.
Später schauen wir uns noch den Sternenhimmel an; Raúl erinnert mich daran, was der Name „Tupungato“ eigentlich bedeutet: mirador de las estrellas – Aussichtspunkt zu den Sternen. Noch ein Grund mehr für mich, dort hochzusteigen!
29.12.: Nach einer angenehmen Biwaknacht steht heute der Hauptteil des Anmarsches an. Im Gegensatz zum letzten Mal werden wir heute Abend nicht in Vega des los Flojos übernachten, sondern noch etwas weiter hinten am Tal. So können wir dann morgen früher den Aufstieg ins Basislager angehen, was wichtig ist, da die Maultiere die verschneiten Hänge nur hinaufkommen, wenn der Schnee noch fest ist.
Das erste Hindernis ist wieder der Río Azufre. Inzwischen wurde die Brücke über den Fluss wieder hergestellt. Trotzdem ist er ein Hindernis, da diese Brücke ein wenig unterdimensioniert ist. Während ich entschlossen durch das schokoladenfarbene Wasser bis zum Beginn der Holzplanken wate, balancieren Franzi und Mark geschickt von Stein zu Stein und vermeiden so nasse Füße. Zumindest dieses Mal, denn es folgt noch eine ganze Reihe weiterer Flussquerungen, die alle vor zwei Jahren gar kein Problem waren, jetzt aber schon. Und so bleibt über den Tag dann doch kein Fuß trocken.
Landschaftlich ist der Anmarsch durch das Tal des Río Colorado wirklich schön – nur eben sehr lang. Nach einigen Stunden zeigt sich dann auch endlich unser Ziel, der Tupungato. Auch beim zweiten Mal ist dieser erste Anblick beeindruckend. Immerhin sind es von unserem Standpunkt aus noch rund dreieinhalbtauend Meter bis zum Gipfel. Ob wir es dieses Mal bis ganz oben schaffen werden?
Größtes Hindernis ist auch heute der Malpaso. Der Fluss ist – El Niño sei dank – ebenso angeschwollen wie die Übrigen und dazu kommt eine unangenehme Querung in steilem Schuttgelände, bis wir wieder auf die Pfadspur treffen. Meine Laufschuhe sind dafür nicht gerade ideal, aber es geht schon.
Nach der schönen Vega de los Flojos lässt die Motivation bei Mark und mir allmählich nach, nur Franzi hat noch Freude am Weitergehen. An der Moräne am Eingang zum Tal des Estero del Tupungato meint Mark, gefühlt sei er schon länger als einen Tag auf dieser Etappe unterwegs. Es folgt eine weitere knifflige Uferquerung, dann erreichen wir endlich den begrünten Hang, der hier einer Oase gleich den einzigen sinnvollen Lagerplatz bietet. Platz für unsere Zelte gibt es nicht, aber das Wetter ist trotz Bewölkung stabil und so breiten wir erneut einfach unsere Isomatten und Schlafsäcke aus.
30.12.: Heute soll es ins Basislager gehen und wir sind gespannt, wie weit unsere vierbeinigen Begleiter aufsteigen können. Eine letzte unangenehme Uferquerung steht an und Mark und ich steigen prompt viel zu hoch auf, während Franzi klugerweise unten bleibt und sich so rund 100 Höhenmeter einspart. Dann geht es über verschneite Hänge hinauf nach Los Españoles, wo ich vor zwei Jahren mein Basislager hatte; heute möchten wir allerdings weiter aufsteigen bis Los Penitentes, wo ich damals die zweite Nacht verbracht hatte.
Die Bedingungen sind dieses Mal allerdings deutlich anders: Was vor zwei Jahren Geröllhänge waren, ist nun komplett von Firn bedeckt. Und so laden Marcelino und Raúl bei Los Españoles auch prompt unser Gepäck ab. Ich bin leicht frustriert, frage die beiden, ob sie nicht weiter aufsteigen können, muss aber einsehen, dass der Firnhang, der nun zu queren wäre, für die Vierbeiner zu steil ist. Also ist hier Ende mit Maultiertransport. Wir verabreden uns für ein Wiedersehen am 06. Januar, wobei Marcelino sagt, dass er für eine andere Expedition auch schon am 05. hier sein wird. Falls wir dann schon soweit sind, könnten wir also auch einen Tag früher absteigen.
Nachdem uns unsere berittenen Begleiter verlassen haben, sortieren Franzi, Mark und ich die Ausrüstung. Nach wie vor möchten wir unser Lager weiter oben aufschlagen und müssen nun entscheiden, was wir hochtragen und was für den Rückweg hierbleibt. Dann tragen wir das Material in zwei Gängen ca. 300 Hm nach oben bis Los Penitentes. Die Schlepperei durch den namensgerecht bereits leicht Penitentes-verseuchten Schnee ist anstrengend, aber sie lohnt sich, denn der obere Platz ist der deutlich schönere. Zu unserer Erleichterung sind auch immerhin schon anderthalb Zeltplätze aper.
So geht es, als wir oben sind, gleich weiter mit der Arbeit. Während Mark in einer flachen Firnrinne mit dem Pickel ein Loch gräbt, um an Schmelzwasser zu kommen, erschließen Franzi und ich den zweiten Zeltplatz: Mit dem Pickel schneiden wir Blöcke aus dem Schne, die wir anschließend durch Fußtritte lockern und dann entfernen. Es ist ziemlich harte Arbeit, aber irgendwann ist die Fläche schneefrei. Der der Boden noch komplett durchfeuchtet ist, graben wir als nächsten Schritt kleine Entwässerungskanäle. Die Sonne hilft uns und so wird der Platz tatsächlich bis zum Abendessen ausreichend trocken, um ein Zelt darauf zu stellen.
Etwa 300m unter uns, in einem Tal, dass zu unserem Aufstiegsweg parallel läuft, sehen wir zwei Zelte sowie einige Bewohner derselben. Wir hatten schon gehört, dass sich noch eine weitere Gruppe am Berg befände und waren nun erstaunt, dass sie ihr Basislager so weit unten aufgebaut hatten und dass sie auch zu Hause waren. Schließlich waren sie schon einige Tage länger hier und sollten eigentlich weiter oben sein.
Als wir später in unseren Zelten liegen, gibt es recht eindrückliches Wetterleuchten aus Argentinien. Ähnliches ist auch in den anderen Nächten zu beobachten, nur ausgerechnet am Silvesterabend gibt es kein Gewitter – dieser ist anscheinend ausschließlich menschengemachtem Feuerwerk vorbehalten. Außerdem ist es die erste Nacht, die ich wieder in meinem persönlichen Eispalast verbringen darf. Herrlich!
31.12.: Heute können wir endlich mal wieder ausschlafen. Bei bestem Wetter beginnen wir erst kurz vor halb elf unseren Gepäcktransport ins erste Hochlager auf 5100m. Die Rucksäcke sind schwer und wir – insbesondere Mark und ich – merken schnell, dass wir nach den letzten beiden anstrengenden Tagen heute nicht in Topform sind.
Nach einem penitenten Schneehang haben wir immerhin 300 von 700 Hm geschafft (in nur zwei Stunden, yeah!) und machen Pause auf einer Geröllinsel. Nach ein paar Minuten kommen uns zwei Bergsteiger entgegen – der erste mit wenig Gepäck und sehr erschöpft wirkend, der zweite mit mehr Gepäck und in deutlich besserer Verfassung. Etwa 50m entfernt biegen sie ab, um über eine steinige Rippe abzusteigen (es gibt dort einen Pfad, den auch wir später noch entdecken sollten). Sie grüßen nur kurz aus der Ferne. Schade, wir hätten uns gerne mit ihnen unterhalten.
Der Weiterweg führt zunächst recht angenehm über gut gangbare Geröllhänge, dann folgt ein steiler Firnhang, auf dem wir nach rechts queren um wiederum im Geröll zu unserem nächsten Lagerplatz zu gelangen, einem terrassierten Becken mit einigen schönen Zeltplätzen. Viereinhalb Stunden haben wir bis hier gebraucht. Für 700 Höhenmeter. Es ist erbärmlich. Wir laden unser Gepäck ab, essen etwas, dann steigen wir ab, viertel vor vier sind wir wieder an den Zelten.
Um zwanzig Uhr (Mitternacht zu Hause in Mitteleuropa) wünschen wir uns gegenseitig ein frohes neues Jahr und genehmigen uns zur Feier des Tages einige Schokokekse. Später stehe ich auf dem Nachbarhügel und beobachte den Sonnenuntergang. Ich bin etwas melancholisch heute, so ohne meine Freundin am Silvesterabend. Da tut es gut, für einen Moment allein hier draußen zu stehen.
01.01.: Auch am Neujahrstag haben wir es nicht eilig und können in Ruhe unseren Schokokeks-Rausch ausschlafen. Trotzdem kommen wir früher los als am Tag zuvor und sind im Aufstieg auch eine ganze Stunde schneller. Immerhin – vielleicht wird es ja doch noch was mit der Akklimatisierung.
Nachdem wir die Zelte aufgebaut haben, machen wir noch einen kurzen Abstecher (ca. 150 Hm) zum Nordgrat und genießen den Blick zum mächtigen Gipfelaufbau. Von hier aus wirkt dieser erstaunlich nah und Franzi mag kaum glauben, dass noch 700Hm dazwischen liegen.
Später besprechen wir die Strategie für die nächsten Tage. Ursprünglich hatten wir vor, morgen auf 5800m umziehen und von dort übermorgen zum Gipfel zu gehen. Franzi und Mark schlagen nun vor, morgen nur einen Akklimatisierungsgang zu machen, evtl. Pickel und Steigeisen weiter oben zu deponieren, den Gipfel aber von hier aus anzugehen. Ich bin zunächst wenig begeistert, bin ich doch von hier schon einmal gescheitert, schließlich bin ich aber doch einverstanden. Ein Aufstieg mit vollem Gepäck wäre in dieser Höhe sehr anstrengend und eine Nacht auf 5800m nur wenig erholsam.
Also doch wieder die lange Gipfeltagsvariante, immerhin mit einem Tag mehr an Akklimatisierung. Wir sind alle optimistisch, dass wir es bei gutem Wetter schaffen können. Trotzdem steigt bei mir allmählich wieder die Anspannung. Die nächsten beiden Tage werden entscheidend sein…
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