Hochtour in den Bernina-Alpen am 29.06.2023
Die Überschreitung des Piz Palü ist der vielleicht schönste Hüttenabstieg der Alpen. Natürlich gibt es kürzere Varianten, vom Rifugio Marco e Rosa aus ins Tal zu gelangen. Sehr viel einfacher sind diese jedoch nicht und so bietet sich diese herrliche und nur wenig schwierige Hochtour als Alternative an.
Als wir gegen 05:50 Uhr vor die Tür der Marco e Rosa-Hütte traten, freuten wir uns sehr. Erstens über den blassblauen Himmel, der einen herrlichen Sommertag ankündigte. Und zweitens darüber, dass heute nur etwa 600 Höhenmeter vor uns lagen, denn der Biancograt steckt uns noch spürbar in den Knochen.
Entsprechend beschwingt gingen wir unsere Tour an. Nach Nebel, Wind und Kälte am Vortag war es eine Wohltat heute der Morgensonne entgegen zu wandern, die vor uns dem Gipfelmeer entstieg. Der Himmel dazu, wie gesagt, blau und Wolken nur unter uns. Als dünne Schleier über der Schweiz, als ausgedehnte Haufenwolken (Stratocumulus) über Italien.
Landschaftlich ist schon der Weg bis zur Fuorcla Bellavista ein Genuss. Rechterhand die steilen Gipfel von Crast‘ Agüzza und Piz Zupò, später der Bellavista, unter uns der immer noch große Vadret da Morteratsch und linkerhand der Blick über die Bündner Gipfel, die sich unter einem Dunstschleier verbargen. Nur einige der höchsten Gipfel spitzen aus dem Dunst hervor, z.B. der markant breite Aufbau des Piz Kesch.
An der Fuorcla Bellavista packten wir das Seil ein und machten uns an die Überschreitung des Piz Palü. Bis zum Westgipfel (Piz Spinas, 3823m) handelt es sich um einen Blockgrat, danach überwiegt der Firn. Gregor war so schlau, gleich hier die Steigeisen auszuziehen, um besser klettern zu können. Ich hingegen ließ meine an, was mich langsamer machte.
Die Gratkletterei (II) ist sehr schön, aussichtsreich und auch nur an wenigen Stellen wirklich ausgesetzt. Ein echter Genuss. An einer Platte kam ich dann mit den Steigeisen an den Füßen allerdings an meine Grenzen. Ich versuchte eine Umgehung nach rechts, aber die Felsqualität dort behagte mir nicht. Mein schlechtes Bauchgefühl wurde von einem Bergführer bestätigt, der inzwischen mit seinem Gast aufgeschlossen hatte. Auch er meinte, ich solle doch an der Gratkante bleiben. Also zurück und nun doch die Steigeisen ausziehen. Danach ging dann alles gleich viel besser.
Den Gipfel des Piz Spinas ziert ein kleiner Eispickel, ansonsten ist dieser Punkt wenig markant. Fast ohne Höhenverlust gingen wir daher von hier aus an einem ausgesetzten kombinierten Grat (Steigeisen wieder an!) in den Sattel zum Hauptgipfel. Ab dort ging es über einen breiter werdenden Firnhang zum Gipfelplateau (3899m), das wir kurz nach neun erreichten. Hier gibt es übrigens Spalten. Wer wie wir seilfrei unterwegs ist, sollte entsprechend aufpassen.
Die Aussicht hier oben war immer noch wunderbar. Es war, also wollte uns das Wetter für den trüben Vortag entschädigen und mit guten Eindrücken aus der Bernina entlassen. Wir genossen die Fernsicht hier oben, machten einige Bilder, bevor wir unseren Weg fortsetzten.
Der nächste Abschnitt war der Abstieg über den schmalen Firngrat des Hauptgipfels in den Sattel zum Ostgipfel. Zum Glück war der Grat sehr gut gespurt, so dass diese potentiell heikle Passage sehr gut zu gehen war. Spektakulär waren gerade die ersten Meter trotzdem – die Tiefblicke hier sind schon beeindruckend.
Bad hatten wir auch den 3883m hohen Ostgipfel erreicht und gingen den finalen Abstieg an. Auch dieser ist bis zu einer Schulter noch einmal steil und ausgesetzt. Da waren wir froh um die gute Spur und den griffigen Firn.
An besagter Schulter holten wir dann das Seil wieder aus dem Rucksack, denn als letzter Abschnitt dieser Hochtour stand der Abstieg über den Pers-Gletscher auf dem Programm. Dieser verfügt über ordentlich große Spalten und ein paar der Brücken waren bereits recht dünn. Später in der Saison kann das hier sicherlich ziemlich spannend werden.
Heute hingegen waren die Abstiegsbedingungen sehr gut, nur zog es sich ordentlich. Insbesondere das flache Stück zur Fuorcla Trovat (3017m) wurde im aufgeweichten Firn recht mühsam. Entsprechend froh waren wir, als wir endlich den Gletscher verließen und die ganze Hochtourenausrüstung zusammenpacken konnten.
Nun lag nur noch der Weg zur Diavolezza (2971m) vor uns, den wir recht zügig hinter uns brachten. Kurz nach halb eins konnten wir uns schließlich am berühmten Berghaus zwischen die zahlreichen Touristen setzen und auf unsere gelungene Hochtourenwoche anstoßen. Ich hätte vorher nicht gedacht dass sie so erfolgreich verlaufen würde. Und die heutige Tour – wunderschön, nicht zu schwer, bei sehr guten Bedingungen und bestem Wetter – war der perfekte Abschluss dafür. Einfach spitze!
Zufrieden und erfüllt von den Erlebnissen der letzten Tage schwebten Gregor und ich später zu Tal und traten den Heimweg nach Oberbayern an. Um einen Traum ärmer und viele Erinnerungen reicher.
Daten zur Tour
- Piz Palü (3899m), West-Ost-Überschreitung
- Schwierigkeit PD, II
- 600 Höhenmeter ab Rifugio Marco e Rosa
- Erstbegangen am 22.07.1868 durch Albert Wachtier, Wallner, Wilhelm Balthasar Georg mit Hans und Christian Grass
2 Kommentare
Rebecca · 12. September 2023 um 9:43 am
Wow, genial, toll! Bin nur ein klitzekleines bisschen neidisch 😉 LG Rebecca
Hannes · 14. September 2023 um 6:59 pm
Danke Rebecca! Das war wirklich ein perfekter Hochtourentag. 🙂