Bergtour im Karwendel am 07.10.2023

Der Barthgrat vom Großen Katzenkopf auf die Mittlere Jägerkarspitze. Der breiten Öffentlichkeit eher kein Begriff, unter Karwendelfreunden aber als schwieriger und mental fordernder Klassiker bekannt. Gregor wollte da mal lang und er musste mich nicht lange überreden, mitzukommen.

Und irgendwann standen wir also vor der Stelle, die auch den großen Hermann von Barth bei der Erstbegehung 1870 in Schwierigkeiten gebracht hatte. Jene Stelle, an der er sich „die Füsse frei über dem Abgrund hängend“ hinüber gehangelt hatte. Ein kurzes, scharfes Gratstück, vielleicht fünf Meter lang und zehn Zentimeter breit. Der Anblick eindrucksvoll gruselig. Schwer sah der Grat nicht aus, nur eben verdammt schmal und ausgesetzt…

Begonnen hatte unsere Tour natürlich viel früher und ganz woanders. 07:45 Uhr in Scharnitz genauer gesagt. Auf unseren treuen Alurössen ritten wir von dort aus an der Isar entlang und dann ins Gleirschtal hinein. Die Luft war kalt an diesem Morgen, der sich zu einem prächtigen, warmen Herbsttag zu entwickeln versprach.

An Amtssäge und Möslalm vorbei strampelten wir weiter bergauf bis zum P1447, wo das Jägerkar am Talboden ansetzt. Hier ließen wir die Bergräder zurück und folgten einem (anfangs nicht ganz leicht auffindbaren) Steig bergan. Zunächst folgte der Steig dem Karboden, dann querte er nach links heraus, dem Tor zum wilden Karwendel entgegen. Ein ganz buchstäbliches Felsentor vermittelt hier den Durchschlupf zu den Hängen unterhalb der Südlichen Jägerkarspitze. Plötzlich also statt Latschengassen weite, offene Wiesenhänge und Fernsicht. Ein beeindruckender Landschaftswechsel!

Weiter ging es, zunächst Steigspuren und Steinmännern folgend, später aufs Geratwohl ins Kar „in den Flecken“. Den Barthgrat konnten wir dabei bereits über uns sehen. Und wir waren nicht die Einzigen, die sich für diesen interessierten. Bald kreiste ein Steinadler vor dem Grat und nutzte die Thermik der warmen Felsen, um an Höhe zu gewinnen. Anschließend verschwand er wieder und ließ uns staunend zurück.

Gregor kannte den Weg zum Großen Katzenkopf bereits von einem Abstieg, was natürlich hilfreich war. Über Geröllreißen und Schrofen erreichten wir eine Rinne, über die wir bis in eine Scharte südlich des Gipfel aufstiegen (bis II). Während dieses Anstiegs kamen wir an einen interessanten Abschnitt mit auffallend löchrigem Fels, der die Kalkblöcke „wie grossaugige Käse erscheinen lässt“ (Hermman v. Barth). Von der Scharte war es dann nicht mehr weit und bald wiesen auch wieder Steinmänner den Weg. 12:30 Uhr erreichten wir den 2531m hohen Großen Katzenkopf, als sechste Partie in diesem Jahr. Mit etwa 1700 Höhenmetern in den Beinen konnte nun also die eigentliche Tour beginnen.

Auf meinen Wunsch hin hatten wir ein Seil eingepackt, dass wir vorerst im Rucksack ließen. Dort sollte es auch den Rest der Tour über bleiben, was wir jetzt aber noch nicht wussten. Daher zogen wir neben dem Helm auch den Klettergurt an, um bei Bedarf schnell auf gesichertes Steigen umstellen zu können.

Und dann ging es auch schon los. Beeindruckend zog sich der Barthgrat vor uns zur Mittleren Jägerkarspitze. Die Schwierigkeiten dort waren nur zu erahnen. Zunächst galt es, vom Großen Katzenkopf abzusteigen. Wir hielten uns immer an die Gratkante, was uns ein paar leichte Kletterstellen einbrachte (I-II, wahrscheinlich teilweise umgehbar).

Nach dem Abstieg erwartete uns zunächst Gehgelände. Meist auf dem Grat, manchmal auf Bändern in der Südseite, ging es also zunächst recht entspannt dahin. Natürlich war auch hier überall volle Aufmerksamkeit gefragt, zumal eine Menge Schotter herumlag. Aber schwierig war es nicht.

Das änderte sich, als wir den Abbruch in die erste Gratscharte erreichten. Erstaunlich steil ging es hier hinunter und einige alte Schlingen an einem Köpfl zeugten von früheren Abseilaktionen. Dementsprechend stieg der Adrenalinspiegel und die Konzentration erreichte schnell das typische Karwendelbruch-Niveau. Gleich zu Beginn des Abbruch erwartete uns die schwierigste Abkletterstelle (III). Sie war von oben schlecht einsehbar, ließ sich aber dann gut klettern. Darunter nahmen die Schwierigkeiten ebenso ab wie die Felsqualität. Vorsichtig jeden Griff und Tritt prüfend arbeiteten wir uns hinab in die Scharte (II).

Auf der anderen Seite der Scharte stiegen wir wieder auf (II-III) und kamen bald zum nächsten Abbruch. Dieser war noch einmal brüchiger und schuttiger, dafür etwas rechts der Kante auch leichter (I-II). Aus der Scharte querten wir nach rechts zu einem kleinen, brüchigen Türmchen und stiegen dort über eine kurze Wandstufe zurück zum Grat (III).

Tja, und dann standen wir eben vor der berüchtigten Gratschneide. Nicht schwer, nur eben verdammt ausgesetzt. Ich spürte leichtes Gruseln bei diesem Anblick. Doch während ich noch überlegte, von wo aus wir den Übergang sichern könnten, fasste sich Gregor ein Herz und ging es an. Unerschrocken ritt er über die Schneide, was zunächst prima vonstatten ging. Allerdings fiel die Schneide im hinteren Teil leicht ab. Und da sich Gregor nicht umdrehen konnte, musste er abwärts reiten, was alles andere als angenehm aussah (und es wohl auch nicht war). Doch schnell hatte er sich aus dieser prekären Situation befreit und erreichte das Ende der schmalen Schneide.

Nun war ich dran. Ich wusste, dass ich das Klettern konnte, ich musste nur meine Nerven im Griff behalten. Da ich Gregors Reittechnik nicht nachahmen wollte, überwand ich nur das erste kurze Stück über die Schneide und hangelte den Rest an der Kante über einige ordentliche Tritte auf der rechten Seite. Dies kam dabei auch des Stils der Erstbegehung deutlich näher (minus der Schwierigkeit, einen Bergstock über die Schneide zu balancieren). Und dann war ich auch schon drüben, erleichtert, diese Stelle hinter uns zu wissen. Alles, was jetzt noch vor uns lag, würde mental weniger fordernd sein.

Ein weiterer kurzer Anstieg und ein weiterer Abstieg (II) in eine sehr schmale Scharte waren das nächste Hindernis. Aus dieser dritten Scharte kletterten wir wenige Meter in eine Rinne hinab und von dort auf einen schwach ausgeprägten Absatz. Von diesem aus konnten wir dann den letzten Steilaufschwung in sehr schöner Kletterei (III) an endlich mal wieder guten Fels überwinden. Das machte richtig Spaß und war ein schöner Abschluss der Hauptschwierigkeiten.

Freudig spazierten wir weiter über den Grat, überwanden noch ein paar kurze Kraxelstellen (I-II) und erreichten 15:30 Uhr die Mittlere Jägerkarspitze (2608m). Yeah! Wir gratulierten uns zum gelungenen Aufstieg und ließen die herrliche Szenerie auf uns wirken. Mittlerweile war Schichtbewölkung aufgezogen, trotzdem war die Fernsicht noch sehr gut. Im Süden hob sich der Olperer markant ab, weiter westlich die hohen Stubaier Gipfel vom Habicht bis zum Zuckerhütl. Mieminger und Wetterstein lagen ebenfalls vor uns ausgebreitet. Und ringsum natürlich sehr viel Karwendel. Besonders beeindruckend war der Blick an den Nordwänden der Gleirsch-Halltal-Kette entlang bis zum Überschalljoch – einfach wild.

Nach einer erholsamen Gipfelrast machten wir uns an den Abstieg, der auch nicht ganz trivial ist. Zunächst stand der Gratübergang zur Südlichen Jägerkarspitze (2579m) an, der noch ein paar kurze IIer-Stellen aufwies. Von dort aus ging es dann Steinmännern folgend südseitig hinab (I und Gehgelände). Die Kletterstellen nahmen nach unten hin ab, die Grasschrofen zu, bis wir endlich über sanfte Grashänge entspannt abwärts wandern konnten. Damit lag das schwierige Gelände hinter uns und wir konnten uns ein wenig entspannen.

Zurück ging es durch das Felstor ins untere Jägerkar und dem Steig folgend zu den Rädern. Dann zügig hinab, an der Isar noch einmal bergauf und schließlich nach Scharnitz und zurück zum Auto. Ein großes Karwendelabenteuer lag hinter uns. Zwar hatte sich der Barthgrat insgesamt als etwas weniger brüchig und ausgesetzt erwiesen, als wir befürchtet hatten, trotzdem hatte er uns ganz schön die Zähne gezeigt. Ein echter Klassiker eben und wir freuten uns, wieder ein Stück wildes Karwendel erkundet zu haben.

Daten zur Tour

  • Mittlere Jägerkarspitze (2608m) über Barthgrat
  • Schwierigkeit T6, III
  • 2050 Höhenmeter ab Scharnitz
  • Erstbegangen am 30.07.1870 durch Herrmann von Barth

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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