Bergtour im Karwendel vom 26.-28.09.2014
Als mich mein Kollege Mike im Frühsommer fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm eine zweieinhalbtägige Runde durchs Karwendel zu gehen, musste ich nicht lange überlegen. Nur die Terminfindung gestaltete sich schwierig und wir mussten uns früh auf das letzte Septemberwochenende festlegen. Dass diese langfristige Planung ausgerechnet in diesem sonst so durchwachsenen Sommer aufging, war nicht das einzige Glück, das wir hatten – auch sonst sorgten die Umstände für eine besonders gelungene und eindrucksvolle Bergtour.
Freitag abend stand erst einmal der Aufstieg zur Pleisenhütte an. Halb sieben starteten wir am Bahnhof Scharnitz und stiegen zügig den Forstweg zur Hütte hinauf. Die Sonne war bald untergegangen und allmählich wurde es dunkel, die Stirnlampen konnten aber fast die ganze Zeit über im Rucksack bleiben. Der Wald stand still und friedlich um uns herum – eine schöne Stimmung.
Nach zwei Stunden Wanderung erreichten wir schließlich die Pleisenhütte, die ich bislang nur aus dem Winter kannte und die auch im Sommer sehr zu empfehlen ist. Gemütlich saßen die Gäste in der von Gaslampen beleuchteten Stube und trotz unserer späten Ankunft bekamen wir von Wirt Sigi und seiner Frau neben dem obligatorischen Weißbier auch noch ein tolles Hirschgulasch serviert.
Sigi ist der Sohn von Anton Gaugg, der sich mit dem Bau der Hütte Anfang der Fünfziger Jahre einen Lebenstraum erfüllte und als Pleisentoni zu einer regionalen Legende wurde. Er war nicht nur Hüttenwirt, sondern auch Erschließer, Bergretter und Höhlenforscher. Unter anderem erkundete er den heute nach ihm benannten Höhenweg zum Karwendelhaus, dessen erste Hälfte wir uns für den Samstag vorgenommen hatten.
Am Samstag traten wir nach einem guten Frühstück kurz vor acht vor die Hütte. Noch war es hier bewölkt, aber die Gipfel der Mieminger Kette lagen bereits in der Sonne. Die Fernsicht war außerordentlich gut und es war klar, dass dies ein prächtiger Bergtag werden würde.
Der Toni-Gaugg-Höhenweg quert zunächst das Mitterkar und steigt anschließend über die weiten Hänge des Hinterkares bis in den kargen Karboden unterhalb der Breitgrieskarspitze. Über einige versicherte Felspassagen und ein Schuttband erreicht man schließlich den Südgrat der genannten Spitze. Deren Gipfel ist von hier aus unschwierig zu erreichen, so dass wir uns diesen Abstecher nicht nehmen ließen. 10:30 Uhr standen wir also auf dem ersten Gipfel des Tages (2590m) und genossen die herrliche Aussicht über das Karwendel. Hier bekam ich auch zum ersten Mal die Kaltwasserkarspitze zu Gesicht, die sich bei unserer Besteigung im Juni konsequent unseren Blicken entzogen hatte.
Da wir noch einiges vor hatten, blieben wir nicht lang und stiegen bald zum Steig zurück und auf diesem in die Breitgrieskarscharte. Das weite steinige Gelände rund um die dort aufgestellte Biwakschachtel erinnerte mich ein wenig an die chilensichen Anden. Solche Einsamkeit und Ödnis nur 2 Auto(oder Bahn-)stunden von München entfernt! Vor der Schachtel machten wir eine Essenspause, anschließend verließen wir den Toni-Gaugg-Höhenweg, um uns den Spuren eines anderen Karwendel-Erschließers zuzuwenden: Am 6. Juli 1870 führte der große Hermann von Barth die Erstbesteigung der Birkkarspitze aus dem Karwendeltal durch und überschritt anschließend auch noch Ödkarspitzen, Marxenkarspitze und Große Seekarspitze – immerhin drei Erstbesteigungen an einem Tag; nur die Ödkarspitzen waren bereits zuvor erklommen worden. Diese Überschreitung wollten wir nun in umgekehrter Richtung durchführen.
Von der Breitgrieskarscharte folgten wir zunächst einem Pfad bis zum Sattel zwischen Großer und Kleiner Seekarspitze. Ab hier folgten wir frischen Spuren den Nordgrat der Großen Seekarspitze hinauf. Diese Spuren endeten schließlich an einem kurzen Felsaufschwung, auf den einige Meter leicht ungutes schneebedecktes Schuttgelände folgten. Offenbar war der freundliche Spurer hier umgedreht. Wir ließen uns davon nicht aufhalten und bahnten uns unseren Weg über diese Schlüsselstelle. Der Rest des Aufstiegs war dann deutlich leichter, nur direkt unterhalb des Gipfel war noch ein kleines Felshindernis (I-II) zu überwinden, bevor wir zu Mittag auf dem Gipfel (2677m) dieses sehr formschönen Berges standen.
Von hier aus ließ sich auch der Weiterweg einigermaßen einsehen – da lag schon noch einiges vor uns. Kurz überlegten wir, über den Ostgrat abzusteigen, was von der Richtung her ideal gewesen wäre. Schließlich enstchieden wir uns allerdings dagegen, da nicht klar war, wie schwierig einige Stufen sein würden bzw. ob eine Umgehung in der verschneiten Flanke in Frage kommen würde. Stattdessen stiegen wir (die Schlüsselstelle leicht umgehend) über den Nordgrat ab und querten vom Sattel schwachen Steigspuren folgend hinüber zum Verbindungsgrat zur Marxenkarspitze. Die Querung dauerte etwas, da vor einem Schritt nie klar war, ob sich unter dem Schnee nun loser Schutt, fester Schutt oder plattiger Fels befinden würde, und wir entsprechend vorsichtig gehen mussten.
Am Grat gingen wir einfach über zwei kleinere Buckel und verließen ihn dann auch schon wieder. Hüttenwirt Sigi hatte uns von der ausgesetzten IIIer-Stelle am Grat ab- und zur Umgehung durch das Marxenkar geraten. Und diesem Rat folgten wir nun (übrigens genau wie Hermann von Barth, der den Grat von der Marxenkarspitze kommend ebenfalls umgangen hatte). Im Nachhinein betrachtet hätten wir uns die Kletterstelle wenigstens ansehen sollen, denn was nun folgte, war äußerst mühsam. Zunächst versuchten wir, uns mit möglichst wenig Höhenverlust durchzumogeln und querten unterhalb einiger Felsbastionen über unangenehmen Steilschutt und kaum tragfähige Neuschneefelder. Schließlich mussten wir doch zum Karboden hin absteigen, um wenig später durch eine breite Rinne etwa 200 Hm wieder zum Grat aufzusteigen. Der untere Teil der Rinne bestand aus verbackenem Schutt und losem Geröll, der obere Teil aus abwärts geschichteten brüchigen Platten. Die Kletterei hier herauf war zwar leicht (eine Stelle II, sonst I und Gehgelände) aber kraftraubend und stellenweise heikel.
Zurück am Grat waren wir in wenigen Minuten am Gipfel der Marxenkarspitze (2636m). Von der Großen Seekarspitze bis hierher hatten wir genau 3h gebraucht. Wenn man die Kletterei packt, geht es direkt am Grat sicherlich deutlich schneller. Nach einer kurzen Essenspause setzten wir unseren Weg zu den Ödkarspitzen fort. Der Übergang ist unschwierig, allerdings hatte ich in der Rinne Kraft gelassen und schnaufte schon etwas im Aufstieg zur Westlichen Ödkarspitze, deren höchsten Punkt (2712m) wir gegen 16:00 Uhr erreichten. Hier trafen wir auch Michi wieder, mit dem wir uns bereits beim Frühstück in der Pleisenhütte unterhalten hatten, und der den Brendlsteig herausfgekommen war. Seine Begleiter hatten es vorgezogen, zum Karwendelhaus abzusteigen und er war als einziger beim ursprünglichen Plan geblieben, bis zum Biwak im Schlauchkarsattel zu gehen.
Zu dritt setzten wir unseren Weg über Mittlere (2745m) und Östliche Ödkarspitze (2738m) fort und kamen schließlich viertel nach fünf im Schlauchkarsattel an. Im Biwak hatten bereits zwei andere Bergfreunde die Bänke reserviert und zu fünft hätten wir hier kaum hineingepasst. Also nahmen wir die Biwakausrüstung erst einmal weiter mit.
Der Aufstieg zur Birkkarspitze fiel mir nach ca. 1900 Hm etwas schwer, aber schließlich hatten wir es geschafft und standen auf dem siebten und letzten Gipfel des Tages (2749m), gleichzeitig höchster Punkt des Karwendels und an diesem herrlichen Abend mit einer wunderbaren Aussicht gesegnet. Und noch etwas bot der Gipfel: Platz genug für drei Schlafsäcke. Also beschlossen wir, hier zu bleiben.
Während wir unser Biwak vorbereiteten und das Essen kochten, unterhielten wir uns mit den beiden Schachtelbewohnern, die hier oben den Sonnenuntergang abwarteten. Herrlich war die Fernsicht hier oben über Rofan, Stubaier und Zillertaler Alpen bis in die Hohen Tauern. Und das gesamte Karwendel lag unter uns ausgebreitet. Kurz nach sieben ging dann die Sonne hinterm Wetterstein unter. Schnell wurde es kühl und wir verzogen uns in unsere Schlafsäcke, während die beiden Schachtelbewohner zur ihrer Unterkunft abstiegen.
Die Nacht wurde schön aber kühl und der permanente Wind hielt mich immer wieder vom Schlafen ab. Aber dieser Ausblick hier oben, war etwas Unbequemlichkeit wert.
Sonntag früh erfreute uns der Sonnenaufgang erneut mit einem grandiosen Schauspiel. Über dem bayrischen Oberland lag der Nebel, während ringsum Gipfel um Gipfel in den ersten Sonnenstrahlen entflammten. Mit einer Tasse Kaffee (danke, Michi!) riefen wir die Lebensgeister zurück, dann aßen wir einige Bissen und packten zusammen. Nun trennten sich unsere Wege wieder, da Michi vor hatte, durchs Birkkar abzusteigen, während wir das Schlauchkar angingen.
Dieses erwies sich im oberen Teil als unangenehm, da die Spuren der letzten Tage im Neuschnee überfroren und glatt waren. Meine weichen Zustiegsschuhe waren hier alles andere als ideal und ich war Mike dankbar, dass er voraus ging und dort, wo es möglich war, Stufen in den harten Schnee trat. Weiter unten konnten wir immer öfter in noch unberührten Schnee ausweichen und bei ca. 2400m kamen wir endlich in aperes Gelände.
Inzwischen kamen uns bereits zahlreiche Gipfelaspiranten entgegen und wir waren froh, bei weniger Andrang oben gewesen zu sein. Um 10:15 Uhr erreichten wir dann das Karwendelhaus und legten erst einmal eine ausführliche Kuchenpause ein. Anschließend machten wir uns auf den Weg zu unserem ersten Gipfelziel des heutigen Tages, der Vogelkarspitze.
Relativ problemlos fanden wir die richtige Latschengasse und folgten anschließend den Steinmännern ins Vogelkar und weiter auf den breiten, grasigen Südrücken der Vogelkarspitze. In der Mittagshitze war der Aufstieg über steile Wiesen und leichte Schrofen (I) ziemlich schweißtreibend. Zwei Stunden nach Aufbruch vom Karwendelhaus hatten wir es dann geschafft und standen am Gipfel (2522m), der eine tolle Aussicht auf den westlichen Bereich der Hinterautal-Vomper-Kette sowie über die bayrischen Voralpen bietet.
Trotzdem blieben wir nicht lang, sondern wandten uns nach Westen und gingen die Gratüberschreitung zur Hinteren Schlichtenkarspitze an. Diese wirkt zunächst wild, ist aber im I. Schwierigkeitsgrad zu haben und so konnten wir bereits nach einer halben Stunde die Aussicht vom zweiten Tagesgipfel auf 2473m Höhe genießen. Von hier aus zieht sich der Grat sehr schön und ohne nennenswerte Schwierigkeiten nach Westen, über mehrere Buckel hinweg (von denen eine die Vordere Schlichtenkarspitze ist) bis zum Bäralplkopf. Es war eine Freude, hier oben entlang zu spazieren und den Blick über die umliegende Bergwelt schweifen zu lassen.
Auch heute gingen wir in umgekehrter Richtung wie Herrmann von Barth 144 Jahre zuvor. Zwei Tage vor seiner Erkundung der höchsten Karwendelgipfel hatte der große Pionier die Vogelkarspitze über diesen Grat erstbestiegen.
Nach insgesamt 1h Gratgenuss erreichten wir mit dem 2323m hohen Bäralplkopf den letzten Gipfel des Tages. Von hier aus stiegen wir zunächst in südlicher Richtung, dann nach Südwesten über Gras und Geröll ins Bäralpl ab, wo wir gegen 15:00 Uhr eine verspätete Mittagspause einlegten. Nun stand nur noch der Abstieg nach Mittenwald über den Gjaidsteig auf dem Programm. Wobei dieser allerdings die Schwierigkeit mit sich bringt, dass zwischen Bäralpl und Wörnersattel über 400 Hm Gegensteigung zu bewältigen sind. Auch die Strecke ist nicht ganz kurz und das Gelände unterwegs meist geröllig und nicht unbedingt entspannt zu gehen. Dazu hatte ich nach dem heißen Aufstieg kaum noch Wasser übrig.
Kurz, es zog sich ziemlich, bis wir viertel nach fünf schließlich den Wörnersattel erreichten. Endlich würde es nur noch bergab gehen, wobei auch von hier aus noch ein paar Kilometer zu gehen sind bis Mittenwald. Wir folgten dem schnellsten Abstieg an der Hochlandhütte vorbei, deren einladende Terrasse wir schweren Herzens passierten, und durch das Tal des Gassellahnbaches bis zu den Kasernen am Nordende von Mittendwald. So bildete ein 20minütiger Fußmarsch entlang der Schnellstraße in den Hauptort den etwas unwürdigen Abschluss dieser großartigen Tour. Nach über 3000 Hm Abstieg an diesem Tag taten mir mittlerweile die Füße ordentlich weh und ich war heilfroh, als wir kurz nach halb acht endlich den Bahnhof erreichten. Geschafft – die Blasen an den Füßen würden mich noch einige Tage lang ärgern, die Erinnerung an diese großartige Tour hingegen noch sehr viel länger erfreuen.
Fakten zur Tour
- Breitgrießkarspitze bis Birkkarspitze (2749m) und Überschreitung Vogelkarspitze bis Bäralplkopf
- Schwierigkeit T6, I-II
- 4100 Höhenmeter von Scharnitz nach Mittenwald
- Erstbegangen am 4.Juli bzw. 6.Juli 1870 durch Hermann von Barth
6 Kommentare
Rebecca · 7. Oktober 2014 um 6:12 am
Einfach nur genial – Bilder wie Tour!
Hannes · 9. Oktober 2014 um 12:33 pm
Danke! Bei dieser Tour hat mal wirklich alles gepasst – da haben wir wirklich Glück gehabt.
Kajetan · 7. Juni 2015 um 10:22 am
Hallo,
hab gerade deinen Blog entdeckt. Starke Bilder und gute Texte!
War damals einer der beiden „Biwakbesetzer“ (mit der Kamera), der Bericht sorgt für schöne Erinnerungen.
Viel Glück bei weiteren Touren und Berg Heil.
Hannes · 8. Juni 2015 um 3:14 pm
Danke Kajetan,
freut mich, dass Dir der Blog gefällt. Tolle Bilder hast Du auf Deiner Seite – gerade auch von diesem schönen Abend auf der Birkkarspitze.
Auch Dir noch viele schöne Touren. Schöne Grüße
Hannes
Birgitza · 19. Juli 2016 um 6:59 pm
Geniale Runde. Respekt!
Administrator · 23. Juli 2016 um 6:08 pm
Danke Dir! (Ich war so frei und habe das „a“ angehängt. 😉