Bergtour im Ammergebirge am 14.01.2023

Das winterliche Gebirge hält Abenteuer für jeden Geschmack bereit. Zum Beispiel kann man, wenn wenig Schnee liegt, man glaubt, dass wenig Schnee läge oder man einfach ausreichend masochistisch veranlagt ist, zu Fuß die Ammergauer Hochplatte überschreiten.

Noch immer ist die Schneelage in den Ostalpen recht dürftig. Daher entschieden sich Gregor und ich gegen das Skitourengehen und für eine Winterbergtour. Kurz vor acht starteten wir an der Ammerwaldalm im hinteren Graswangtal. Es war recht frisch und wurde gerade erst hell. Ein schöner klarer Wintermorgen kündigte sich an.

Ein Stück gingen wir an der Straße zurück, dann bogen wir ab, um den Weitalpspitz zu erreichen. Überall im Wald lag frischer Schnee, zunächst nur wenige Zentimeter, nach oben hin dann mehr. Nach den ersten 200 Höhenmetern erreichte uns die Sonne und eine herrliche Winterstimmung umgab uns. Bis kurz vor die Weitalm (1694m) ging es gemütlich dahin, dann begann die Wühlarbeit. Hier hatte es offensichtlich viel Schnee herein geweht und immer öfter mussten wir uns nun durch knietiefen Schnee kämpfen.

Mühsam wühlten wir uns weiter. Gregor übernahm den Hauptteil der Spurarbeit, kurz vor dem 1870m hohen Gipfel löste ich ihn ab. Viertel nach zehn hatten wir den ersten Tagesgipfel erreicht und erfreuten uns an der herrlichen Aussicht. Auch der Weiterweg nach Norden erforderte wieder Wühlarbeit. Dass wir kurz vor dem Weitalpjoch (1755m) auf der falschen Seite des Grates ein Stück abstiegen und uns dann durch tiefen Schnee und Latschen wieder zurück auf die andere Seiten wühlen mussten, machte es auch nicht besser.

Ab dem Weitalpjoch folgten wir kurz den Spuren von zwei anderen Bergfreunden. Sie überließen uns bald den Vortritt in der Hoffnung, dass wir den Weg eher finden würden als sie selbst. Tja, da hatten sie sich mal die Falschen ausgesucht! Uns, die zu faul waren, die Karte aus dem Rucksack zu holen und stattdessen ihrer Nase (und einem GPS-Track) nachgingen. Was uns erst eine schöne Latschengasse hinauf führte, die sich dann aber leider verlor.

Und dann standen wir im ganz üblen Latschendschungel. Vielleicht das erste Mal, dass ich der sagenumwobenen Latschenkampfklasse 5 ausgesetzt war. Das hinterhältige Krummholz mit allerlei Flüchen belegend kämpften wir uns hartnäckig auf einen Rücken hinauf, auf dessen anderer Seite der Weg lag. Das hätten wir auch leichter haben können…

Der nächste Wegabschnitt führte uns durch die Karstlandschaft des Wilden Freithofs. Im Sommer hatte mich die Kargheit dieser Landschaft beeindruckt, jetzt beeindruckten mich die Schneemassen. Beständig durfte ich durch knie- bis hüfttiefen Schnee spuren. Warum genau hatten wir weder Ski noch Schneeschuhe dabei? Vielleicht ja einfach, damit ich mich mal wieder so richtig als Wühlmeister fühlen durfte!

Kurz überlegten wir, ob wir wirklich weiter gehen sollten. Aber es schien, als würde es bald besser, also setzten wir unseren Weg fort. Zum Gamsangerl hinauf spurte wieder Gregor. Und tatsächlich nahm hier die Schneehöhe ab — und ebenso der Sonnenschein und dafür der Wind zu. Das Gehen wurde immer weniger mühsam und dafür das Wetter immer ungemütlicher. Wir waren trotzdem dankbar für diese Abwechslung. Oben war der Grat zum Kreuzgipfel wie erwartet abgeblasen und auf dem Weg und zwischen den Felsen hatte sich Eis gebildet.

Bald hatten wir den Kreuzgipfel (2079m) erreicht und damit den Beginn der eigentlichen Überschreitung. Dort legten wir die Steigeisen an. Beziehungsweise in Gregors Fall nur das Steigeisen, denn bei einem passte aus unerfindlichen Gründen der Riemen nicht. So ging Gregor gezwungenermaßen mit Steigeisen am linken und ohne Steigeisen am rechten Schuh weiter. Und erfand damit wahrscheinlich einen ganz neuen Begehungsstil.

Ich war durchaus froh darum, zwei Steigeisen unter den Füßen zu haben, denn der Grat entpuppte sich als alpiner, als ich ihn in Erinnerung hatte. Quasi ein Unterschied wie Sommer und Winter. Schwierig wurde das Gelände nicht, aber doch so, dass wir immer wieder die Hände brauchten. Und ausgesetzt war es hier durchaus auch. Nach dem Hauptgipfel (2082m) durften wir uns noch ein Stück am Drahtseil entlang hangeln. Nach einem kurzen Gegenanstieg und einer letzten Gratpassage wurde das Gelände wieder zahmer und Gregor hatte die vielleicht erste Ein-Steigeisen-Winterüberschreitung der Hochplatte vollendet!

Wir wanderten über den teils abgeblasenen Rücken hinab zum Fensterl (1916m) und querten von dort nach Süden zum Roggentalsattel (1884m). Was die Lawinengefahr betrifft, dürfte diese Querung meistens die Schlüsselpassage der Tour sein. Heute jedenfalls lag hier sehr viel Triebschnee. Eine Schwachschicht hingegen fanden wir nicht und kamen auch unbeschadet im Roggentalsattel an. Es mag jedoch sicherer sein, vom Ende des Grates direkt dorthin abzusteigen.

Am Sattel angekommen machten wir kurz Pause, schließlich wollten wir unseren Proviant nicht wieder vollständig nach unten tragen. Und dann machten wir uns bereit für eine herrliche Tiefschnee-Stapferei durchs obere Roggental. Es war verrückt: Während die Nordseiten der Kreuzspitzgruppe gegenüber fast vollständig abgeblasen waren, lag hier der Schnee metertief. Nach den ersten ca. 200 Höhenmeter nahm die Schneedecke allerdings auch schon wieder ab, Ski hätten sich also definitiv nicht gelohnt. Ab der Roggentalgabel (1462m) war der Weg dann gut eingespurt und entspannt wanderten wir aus dem Tal hinaus.

Als wir halb vier wieder am Parkplatz ankamen, lag eine sehr lohnende Tour hinter uns. Wir hatten zwar unterschätzt, wie stark der Schnee verfrachtet worden war und wie viel Wühlarbeit daher auf uns warten würde, uns davon aber nicht abschrecken lassen. Und der hübsche Grat oben hatte viel Spaß gemacht.

Daten zur Tour

  • Hochplatte (2082m), Überschreitung über Weitalpjoch
  • Schwierigkeit T4-, I, B
  • 1300 Höhenmeter

Hannes

Ursprünglich Flachländer bin ich als Jugendlicher zufällig zur Liebe zu den Bergen gekommen. Seitdem bin ich immer wieder im Gebirge und gelegentlich auch am Meer unterwegs. Da ich schon immer gern geschrieben habe, startete ich 2010 dieses Blog, um andere Reiselustige und Bergfreunde an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

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